Frauen verdienen in Deutschland im Durchschnitt 18 Prozent weniger als Männer. Rechnet man diese statistische Lohnlücke in Arbeitstage um, dann arbeiten Frauen vom 1. Januar an 66 Tage lang unentgeltlich.
Deswegen findet Anfang März der Equal Pay Day statt. Genau an dem Tag, bis zu dem Frauen symbolisch gesehen eigentlich „umsonst” gearbeitet haben. Letztes Jahr fiel der Equal Pay Day auf den 7. März.
Dieses Jahr findet er am 6. März statt. Aber nicht etwa, weil der Gender Pay Gap kleiner geworden wäre, sondern weil 2024 ein Schaltjahr ist und der Februar einen Tag länger war.
Berechnet wird die Lohnlücke wie folgt: Man nimmt den durchschnittlichen Bruttostundenverdienst von Frauen und Männern in Betrieben mit mehr als zehn Beschäftigten. Vergangenes Jahr haben Männer in Deutschland durchschnittlich 25,30 Euro pro Stunde verdient, Frauen nur 20,84 Euro. Das ergibt eine Differenz von 4,46 Euro (= 18 Prozent des durchschnittlichen Bruttostundenverdienstes der Männer). Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: Frauen verdienen pro Stunde 18 Prozent weniger als Männer.
Dann gibt es noch den sogenannten bereinigten Gender Pay Gap. Er wird von Faktoren wie Berufserfahrung, Bildung, Branche, Arbeitszeit, Position und anderen relevanten Variablen bereinigt, die nichts mit dem Geschlecht zu tun haben. Doch auch der bereinigte Gender Pay Gap betrug im Jahr 2023 sechs Prozent.
In kaum einem anderen Land Europas verdienen Frauen im Vergleich zu Männern so unterschiedlich wie in Deutschland. Die Gründe dafür sind vielfältig. Frauen arbeiten häufiger in schlechter bezahlten Branchen (soziale Berufe, Pflege oder Kinderbetreuung) – und fast dreimal so häufig in Teilzeit wie Männer, nämlich dann, wenn Kinder ins Spiel kommen oder Angehörige gepflegt werden müssen. Immer noch übernehmen Frauen einen Großteil der Care-Arbeit. Unbezahlt.
Weil es sich kurzfristig lohne, dass der besserverdienende Partner Vollzeit und die Partnerin in Teilzeit arbeitet, bleibe es viel zu oft bei dieser Aufteilung – und die Lohnlücke wachse langfristig, schreibt Lisa Paus, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Journal des diesjährigen Equal Pay Day (PDF 1,5 MB). Diese Ungerechtigkeit hat leider eine lange Tradition!
Geschichte der ungleichen Bezahlung
Eigentlich gilt: Gleiches Geld für gleiche Arbeit. Gleicher Lohn ist keine Verhandlungssache – das hat auch das Bundesarbeitsgericht in Erfurt im Februar 2023 in einem Grundsatzurteil entschieden. Geklagt hatte eine Mitarbeiterin eines Metallunternehmens in Meißen, als sie feststellte, dass zwei männliche Kollegen deutlich höhere Gehälter erhielten als sie.
Der Arbeitgeber habe „die Klägerin aufgrund ihres Geschlechts benachteiligt”, urteilte das Gericht. Fazit: Frauen haben Anspruch auf die gleiche Bezahlung wie männliche Kollegen – auch dann, wenn Männer bessere Gehälter ausgehandelt haben.
Es lohnt sich also, gegen Ungerechtigkeiten vorzugehen. Das zeigt auch die lange Geschichte der ungleichen Bezahlung und unfairer Arbeitsbedingungen. Arbeitszeiten zum Beispiel sind gestaltbar und wurden historisch gesehen immer wieder kollektiv erkämpft. Den 8-Stunden-Tag, wie wir ihn heute kennen, gibt es erst seit der Weimarer Republik. Vorher war es durchaus üblich, sechs Tage die Woche je 16 Stunden in der Fabrik zu schuften.
Auch die uneingeschränkte Erwerbstätigkeit von Frauen musste in einem langwierigen gesellschaftspolitischen Prozess mühsam erkämpft werden.
NS-Regime und 2. Weltkrieg
Unter dem NS-Regime war eine Frau vor allem für eines vorgesehen: zum Kinderkriegen. Doch im Zuge der Weltkriege und der Politik der Arbeitskräftemobilisierung wurden Frauen für kriegswichtige Berufe herangezogen und zum Beispiel zu Hilfsschlosserinnen ausgebildet, um die eingezogenen männlichen Fachkräfte zu ersetzen.
Nach dem 2. Weltkrieg waren viele Männer in Kriegsgefangenschaft und Frauen verrichteten weiter die für Männer üblichen Tätigkeiten, um ihre Familien als Alleinverdienerinnen ernähren zu können. Sie arbeiteten als Lehrerkräfte, Schaffnerinnen, Trambahnfahrerinnen, Maurerinnen, Dachdeckerinnen, Glaserinnen oder Schreinerinnen. Eigentlich sollte die gezielte Ausweitung der Frauenerwerbstätigkeit nur für die Dauer des Krieges gelten. Frauen wurden lediglich als Ersatzarbeitskräfte ohne tatsächliche berufliche Qualifikation angesehen. „Sie packten die Loren voll mit Abbruchgeröll, sie schleppten die Ziegelsteine. Und dann kamen die Männer zurück und wollten wieder ein liebes, anschmiegsames Weibchen haben”, heißt es in einem SZ-Artikel über den Kampf um Gleichberechtigung nach 1945.
Die junge Bundesrepublik
Als die Kriegsgefangenen zurückkehrten, mussten viele Frauen wieder zurück an den Herd. Bis 1957 galt die sogenannte Zölibatsklausel – eine Vereinbarung im Arbeitsvertrag, die die Entlassung verheirateter Beamtinnen vorsah, sobald das Familieneinkommen auch ohne den Verdienst der Frau ausreichte, die Familie zu ernähren.
Eine ähnliche Klausel war das „Doppelverdienergesetz”. Wenn der Ehemann Arbeit hatte, sollte die Frau ihren Job aufgeben – zugunsten eines anderen Mannes, der sich dann als Familienernährer profilieren konnte. Nur bei Paaren, die es sich anders nicht leisten konnten, waren beide berufstätig. Nichterwerbstätigkeit der Frauen als Statussymbol.
Dabei hatten sich die vier Mütter und 61 Väter des Grundgesetzes 1949 darauf geeinigt, dass Männer und Frauen gleichberechtigt sind!
Doch die Realität der jungen Bundesrepublik Deutschland sah anders aus. Sie war immer noch von einem patriarchalen Ehe- und Familienverständnis geprägt, das sich auf die Regeln des Bürgerlichen Gesetzbuches von 1896 stützte. Demnach war der Mann das Familienoberhaupt, der in allen ehelichen Angelegenheiten in letzter Instanz entschied, während die Ehefrau der Haushaltsführung verpflichtet war.
1958 trat dann das Gleichberechtigungsgesetz in Kraft. Es hatte zum Ziel, die in Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes festgeschriebene Gleichberechtigung im Bundesrecht umzusetzen. Frauen durften demnach arbeiten. Theoretisch. De facto konnten die Männer über das Dienstverhältnis ihrer Ehefrau entscheiden. Ausschlaggebend war, dass die Erwerbsarbeit mit den „Pflichten in Ehe und Familie vereinbar” war. Erst 1977 wurde das „paritätische Ehemodell“ eingeführt, das Männer UND Frauen gleichermaßen zur Erwerbstätigkeit berechtigte.
Doch bloß weil beide arbeiteten, hieß das nicht, dass Mann und Frau gleich verdienten. Beispielsweise war 1970 der Bruttodurchschnittsverdienst von Frauen im Durchschnitt 31% geringer als der von Männern, 1975 betrug die Entgeltungleichheit 29%, 1980 betrug sie 28% und 1989 26%.1
Entgeltungleichheit in der DDR
Dass geschriebenes Wort in der Realität nicht unbedingt etwas zu bedeuten hat, zeigte sich auch in der DDR. Die Verfassung sollte eine vom Geschlecht unabhängige Entlohnung garantieren. „Mann und Frau, Erwachsene und Jugendliche haben das Recht auf gleichen Lohn bei gleicher Arbeitsleistung”2, hieß es in der Fassung von 1974 in Art. 24, Abs. 1. Doch entgegen aller marxistischen Maxime gab es auch in der DDR eine Lohnungleichheit. In vielen Betrieben der DDR wurden Frauen mit Tätigkeiten unterhalb ihrer Qualifikation beschäftigt und entsprechend niedrig bezahlt. Bei Männern war es eher umgekehrt.1,3
Nach dem Mauerfall wurde durch Auswertungen der DDR-Statistiken die tatsächliche Entgeltungleichheit in der DDR empirisch belegt. Zwar war die Erwerbsquote von Frauen und Männern gleich, aber Frauen wurde nicht der gleiche Lohn gezahlt, wie Männern. Der Bruttolohn im Produktionsbereich der DDR im Jahr 1988 betrug bei männlichen Arbeitern im Durchschnitt 1.198 Mark, bei Frauen 997 Mark. Das ergibt einen Gender Pay Gap von 17%.1
Wiedervereinigung & Gender Pay Gap
Auch nach der Wiedervereinigung bleibt die Lohnlücke. Seit 2006 wird der Gender Pay Gap statistisch erhoben. Damals betrug der Verdienstabstand zwischen den Geschlechtern 23%. Seit 2020 verharrt die Lohnungleichheit zwischen Männern und Frauen bei 18 %.4
Höchste Zeit für equal pay
Seit 2008 gibt es den Equal Pay Day, um auf die Lohnlücke aufmerksam zu machen und gleiches Geld für gleiche Arbeit zu fordern.
Denn gleiche Löhne für Frauen und Männer für gleichwertige Arbeit bedeuten gleiche Chancen. Der aktuelle Gender Pay Gap von 18 Prozent wird sich nur reduzieren lassen, wenn Erwerbsarbeit, Care-Arbeit und Freizeit paritätisch zwischen den Geschlechtern aufgeteilt werden. Nur so kann Gleichberechtigung erreicht werden. Die Ideen dafür liegen längst auf dem Tisch:
- 4-Tage-Woche,
- verkürzte Wochenarbeitszeit bei vollem Lohnausgleich oder
- Jobsharing.
Es gibt bereits Initiativen und Gesetze zur Förderung der Entgeltgleichheit, zum Beispiel das Entgeldtransparenzgesetz und das Pflegelöhneverbesserungsgesetz sowie das Elterngeld.
Wenn man Frauen verstärkt als Arbeitskräfte gewinnen kann, wirkt man auch dem Fachkräftemangel entgegen. Doch dazu braucht es garantierte Betreuungsmöglichkeiten für Kinder und mehr Väter, die in Elternzeit gehen. Stichwort Vereinbarkeit von Familie und Beruf (Blogbeitrag „Männer mit an Bord”).
Wir leben in einer Demokratie. Eine Gesellschaft, in der Mädchen und Frauen eigenständig ihre Existenz sichern und frei von Geschlechterrollen leben können, sollte keine Utopie sein.
„Wir schreiben das Jahr 2030. Der Gender Pay Gap existiert nicht mehr und alle Geschlechter verdienen gleich viel für gleiche und gleichwertige Arbeit. Erwerbsarbeit, Care-Arbeit und Freizeit sind gleich verteilt. Die Erkenntnis, dass Fürsorge- und Lohnarbeit zusammen gedacht werden müssen, hat zu einer neuen Vollzeit mit weniger Wochenstunden geführt. Weil Frauen ihre Stunden für Erwerbsarbeit erhöhen konnten, hat sich der Fachkräftemangel verringert. (…) Noch ist dieses Szenario in Deutschland Zukunftsmusik.”, schreibt Birte Siemonsen, Präsidentin BPW Germany e.V. im Journal zur Equal Pay Day Kampagne. „Bis wir den Equal Pay Day an einem 1. Januar mit Sekt und Feuerwerk feiern können, gibt es noch einiges zu tun.”
Tatsächlich wird es laut Gender Gap Report 2022 bei gleichbleibender Entwicklung 132 Jahre bis zur Gleichstellung dauern!
So lange sollten wir nicht warten müssen. Deshalb ist das Motto des diesjährigen Equal Pay Days „Höchste Zeit für equal pay!“
Zum Weiterlesen, Quellen
- Höchste Zeit für Equal Pay, Das Journal zur Kampagne 2024, PDF 1,5 MB, https://www.equalpayday.de/wp-content/uploads/2024/02/epd-journal-2024-240209-final.pdf
- 125 Jahre Deutsche Einheit (PDF, 14 MB), Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
- 2DDR-Verfassung 1968, geändert durch Gesetz vom 7. Oktober 1974 (GBl. I S. 425), Art. 24 Abs. 1.
- 3 Vgl. Helwig, Gisela (1987): Frau und Familie. Bundesrepublik Deutschland – DDR, Köln, S. 49 f. Dies. (1974): Zwischen Familie und Beruf. Die Stellung der Frau in beiden deutschen Staaten, Köln, S. 89 ff. Grandke, Anita (Hg.) (1968): Frau und Wissenschaft. Referate und ausgewählte Beiträge. Protokoll der Arbeitstagung des Wissenschaftlichen Beirates »Die Frau in der sozialistischen Gesellschaft« bei der DAdW zu Berlin, März 1967, zum Thema: Die gesellschaftliche Stellung der Frau in der DDR und die Aufgaben der Wissenschaften, Berlin, S. 80.
- 4 Statistisches Bundesamt
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Johanna Fröhlich Zapata
Johanna Fröhlich Zapata ist Mutter, Therapeutin, Medizinanthropologin und Co-Gründerin von Deutschlands erster Ausbildungsinstitution für Feministisches Coaching. Ihr Ziel ist es, Alltagsfeminismus als Prozess gesellschaftlichen Wandels mitzugestalten und Frauen und Männern gleichermaßen dabei zu unterstützen, einen lebenspraktischen Feminismus in ihrem Alltag zu etablieren.
Mit dem rbbKultur-Podcast «Die Alltagsfeministinnen» erreicht ihre Arbeit ein breites Publikum. In ihrer Privatpraxis bietet sie ein stark gebuchtes Coachingprogramm zum Thema an. Johanna Fröhlich Zapata lebt mit ihrer erweiterten Familie in großer Fürsorge-Gemeinschaft in Berlin.
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