„Eine Frau hat zwei Lebensfragen: Was soll ich anziehen und was soll ich kochen?“, behauptet eine Fernsehwerbung aus den 1950er Jahren. Doch diese “Lebensfragen” scheinen sich auch heutzutage einige Frauen zu stellen. Auf Instagram und TikTok beobachte ich seit einiger Zeit voller Verwunderung den sogenannten Tradwife-Trend. Frauen, die sich auf Social Media als “Tradwife” inszenieren, verkörpern die “traditional housewife”, also die „traditionelle Hausfrau“, die in einer klassisch patriarchalen Rollenverteilung lebt: Der Mann geht erwerbsarbeiten, die Frau bindet sich zuhause die Kittelschürze um, setzt den Sauerteig an und kümmert sich ausschließlich um Kinder und Küche.
Alle feministischen Errungenschaften der letzten Jahrzehnte – wenn nicht Jahrhunderte – scheinen hier mit Füßen getreten zu werden. Gleichberechtigung adé! Was wird damit bezweckt und warum ist dieser Trend bedenklich?
Retraditionalisierung: “Mein Mann hat die Autorität”
“Ich glaube, Tradwifes bringen wieder die Balance in die Familien zurück”, sagt eine von ihnen in der ARD Doku „Tradwifes – Hausfrauen-Revival auf Instagram?“. Gerade jüngere Menschen scheinen zu tradierten Rollenbildern zurückzukehren. Vor allem Influencerinnen aus den USA wirken dabei oft wie aus der Zeit gefallen. Man hat das Gefühl, man guckt einer Frau bei den Amischen dabei zu, wie sie in ihrem Steinofen das Brot backt, nur damit sie gleich mit der Pferdekutsche aus dem Bild fährt, um ihr Kind aus der Schule abzuholen und später dem Ehegatten die selbst gefilzten Pantoffeln vor den Sessel zu stellen. Eine Kochlöffel-Ideologie, die das Dasein als Mutter und Hausfrau propagiert. Bei Anblick mancher Accounts und Videos scheint es hochreligiös und gottgegeben, dass die Frau dazu da ist, ihrem Mann zu dienen – im Jahr 2024 wohlgemerkt. Und nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland.
„Wenn mein Mann Nein sagt, dann ist es ein Nein”, wird die Userin “tradwifefactory” in einem Tagesschau-Artikel zitiert. “Ich diskutiere nicht darüber, ich quengele nicht und ich nörgele nicht. Wenn mein Mann Nein sagt, hat das immer einen Grund. Nämlich, dass er meine Sicht der Dinge bereits gehört, sich zu der Thematik ein Urteil gemacht und entschieden hat. Weitere Diskussionen und Quengeleien meinerseits wären nicht nur respektlos, sondern würden auch zu Vertrauensdefiziten in unserer Ehe führen. Mein Mann hat die Autorität mit dem letzten Wort.“
Wenn man in herausfordernden Zeiten automatisch in alte Rollenbilder fällt, spricht man vom Retraditionalisierungseffekt. Zum Beispiel nach der Geburt des ersten Kindes.
So erging es auch meiner Klientin Franzi. Nach der Geburt ihrer Tochter erkennt sie ihre vorher gleichberechtigte Beziehung nicht mehr wieder: Sie kümmert sich um Haushalt und Baby. Ihr Mann geht arbeiten. Davon berichtet Franzi in meinem Podcast “Die Alltagsfeministinnen” in der Folge “Hausfrau des Jahres? So läuft‘s fair in der Familie”. Auch während der Corona-Pandemie, als Schulen und Kitas geschlossen waren, sind viele Paare zur tradierten Rollenverteilung zurückgekehrt: Der Mann bei der Erwerbsarbeit, die Frau bei der Hausarbeit.
Geschichtsexkurs: Die Erfindung der Hausfrau Die Hausfrau ist eine Entwicklung des Bürgertums aus dem 19. Jahrhundert. Die Industrialisierung zwang viele Familien zur Arbeit in die Städte. Doch der Wohnraum war knapp. Es fehlten Platz und Geld für Hausangestellte. Die bürgerliche Frau war fortan zuhause und für das Überleben der Familie zuständig. Haushälterische Aufgaben wurden sogar gesetzlich verankert. Im Jahr 1900 wurde die “Hausfrauenehe” rechtlich im Bürgerlichen Gesetzbuch festgeschrieben. In § 1354 – dem sogenannten Gehorsamsparagraph hieß es: „Dem Manne steht die Entscheidung in allen das gemeinschaftliche Leben betreffenden Angelegenheiten zu“. Das heißt, allein der Mann entschied über Haushaltsführung, Kindererziehung und Arbeitsverträge seiner Frau. Er war der Alleinherrscher über die Familie. Ein Mann konnte seiner Frau verbieten zu arbeiten und über ihr Vermögen (zum Beispiel ihr Erbe) bestimmen. Dieser Paragraph wurde in der BRD erst 1977 wieder abgeschafft. Im Nationalsozialismus wurde die Frau als Mutter idealisiert. Adolf Hitler sagte 1936: “Ich will ihr (der Frau) nur die Möglichkeit im weitesten Ausmaß verschaffen, heiraten zu können, eine eigene Familie mitgründen helfen zu können und Kinder bekommen zu können, weil sie dann (…) unserem Volk natürlich am allermeisten dient.” Hilter stiftete auch das „Mutterkreuz“ in Bronze-, Silber- oder Gold für Mütter mit mehr als vier, sechs oder acht Kindern. Der Muttertag wurde zum offiziellen Feiertag und die Frau war dazu da, dem Führer Kinder zu schenken. Aus ökonomisch und politisch wichtigen Berufen wurde sie verdrängt. Im Krieg wiederum wurden Frauen dann als Krankenschwestern gebraucht oder mussten die Männer in der Rüstungsindustrie ersetzen. Als Trümmerfrauen räumten sie nach Kriegsende schließlich den Schutt weg und bauten die Städte wieder auf. In den 1950er Jahren galt eine Frau, die als Hausfrau zuhause blieb, als Statussymbol und als Zeichen, dass ein Gehalt ausreicht. Eine Frau, die arbeiten gehen musste, war peinlich. In der DDR wiederum sollte es offiziell keine Hausfrauen geben. Die Hausfrau stand für ein rückständiges Frauenbild. Das Idealbild der SED war die berufstätige Mutter. Durch Republikflucht fehlten Arbeitskräfte. Mit der sogenannten “Hausfrauenkampgane” wurde bei Frauen dafür geworben, eine Arbeit aufzunehmen. Doch die Berufswahl war staatlich gelenkt. Frauen arbeiteten oft 40 bis 45 Stunden pro Woche in schlechter bezahlten Berufen (Näherin, Erzieherin oder Krankenschwester). Nach Feierabend begann dann die “zweite Schicht”: Familie und Haushalt. Für meine Klientin Katja war es als ostdeutsches Mädchen normal, dass auch ihre Mutter Vollzeit arbeitet. Bis Katja einen Westdeutschen heiratet, drei Kinder bekommt und merkt: Es ist verdammt schwer, den traditionellen (westdeutschen) Geschlechterrollen zu entkommen. Davon erzählt sie in meiner Podcastfolge “Wende rückwärts – Gleichberechtigung in Ost und West”. |
Muss Frau Karriere machen?
Zu den jungen Influencerinnen, die sich heute als Tradwifes inszenieren und es als erstrebenswertestes Ziel propagieren, sich um Heim und Herd zu kümmern, gehört auch Carolina Tolstik. Sie ist Ende 20 und postet auf Social Media unter dem Namen xmalischka Videos aus ihrem Alltag.
Die ehemalige Grundschullehrerin lebt seit einigen Jahren mit ihrem Freund auf Mallorca und scheint ihre Tage damit zu verbringen, ihm morgens, mittags und abends ein aufwändiges Mahl zuzubereiten. Ihre Videos tragen Titel wie “Alles für meinen Prinzen”, „Alles für meinen Mann”, “Hauptsache er ist glücklich”. xmalischka bezeichnet sich als „Stay-at-home-girl“, aber gleichzeitig als Feministin.
Wie geht das zusammen? Muss man als Feministin nicht auch Role Model sein? In diesem Dilemma steckte auch meine Klientin Nele – wenn auch auf ganz anderer Ebene. In der Podcastfolge “FOMO Feminismus – muss ich Karriere machen?” steht sie vor der Entscheidung Girlboss vs. “Frauenberuf“. Sie hat mit zwei kleinen Kindern ihr Chemiestudium durchgezogen und könnte in der Forschung Karriere machen. Gleichzeitig wünscht sich Nele Vereinbarkeit und weniger Stress.
Weniger Stress im Job und dafür mehr Zeit für Trockenblumengestecke, aufwändige Frühstücksei-Kreationen für den Mann und trotzdem noch Yoga und Pilates? Das ist, was die Stay-at-home-girls und Tradwifes zu leben scheinen. Doch was wird damit bezweckt und wer zahlt das alles?
Tradwife-Inszenierung als Business
Seit Jahrhunderten kämpfen Frauen für Gleichberechtigung, die immer noch nicht in allen Bereichen des Lebens erreicht ist. Siehe Gender-Care-Gap, -Pay-Gap, -Pension-Gap und alle anderen Gaps. Sorry, wenn ich mich wiederhole, Leute! Laut einer Studie des Markt- und Meinungsforschungsinstituts ipsos empfinden nur 38 Prozent der befragten Frauen unsere Gesellschaft als gleichberechtigt – demgegenüber finden 60 Prozent der deutschen Männer, dass Gleichberechtigung erreicht sei.
Nutzen Tradwifes unsere gesellschaftliche Schieflage für die eigene Popularität aus? Ohne Frage polarisieren sie. Und Provokation ist eine wichtige Währung im Internet, sie verspricht Klicks, Likes und Follower.
Viele Tradwifes verkaufen nicht nur eine patriarchale Struktur und ein Machtgefälle, sondern verdienen Geld durch Werbung oder vermarkten auf ihren Accounts eigene Produkte. Sie sind also eigentlich Unternehmerinnen.
Carolina Tolstik alias xmalischka ist finanziell unabhängig von ihrem Partner – denn sie arbeitet neben dem Hausfrauenjob als Content-Creatorin. Ihr Alltag bestehe “auch aus Filmen, Videos schneiden und eben nicht nur Matcha Latte trinken und Yoga machen“. Ihre Videos seien daher auch oft ironisch gemeint. Doch auf wessen Kosten gehen die Inhalte der Tradwifes und auf wessen Konto zahlen sie noch ein?
Rückbesinnung auf Antifeminismus als rechter Trend
Ich persönlich würde auch gern in all meinen Lebensrollen als Therapeutin, Feministin, Mutter oder Partnerin immerzu topgestylt und entspannt in die Kamera lächeln und so tun, als würde mir all das gar keine Mühe machen. Aber ich kann es nicht. Das ist der Unterschied zwischen Social Media und der realen Welt. Das echte Leben ist nicht immer hochglanz, sondern oft anstrengend. Deswegen wirkt es so, als würde der Tradwife-Trend all die Frauen verhöhnen, die missmutig nach der Arbeit durch die Küche feudeln, weil es sonst niemand macht. Denn: Im Haushalt fallen auch moderne Frauen auf stereotype Muster rein, meint Zeit-Autorin Nina Pauer. Sie schreibt gar von einer Art “innerer Hausfrau”, die uns stinksauer Dreckwäsche in Körbe schmeißen oder übertrieben ruppig Geschirr abräumen lässt: “Es scheint, als existiere etwas tief im Inneren von Frauen, das sie gnadenlos anpeitscht. Jemand, der fest in ihren Köpfen sitzt und von dort aus Befehle erteilt. Eine Stimme, die nichts wissen will von all dem gesellschaftlichen Fortschritt, der fairen Arbeitsteilung und den modernen Selbstbildern”
Während die innere, missmutige Hausfrau durch die Tradwifes getriggert wird, springen auch noch rechte Parteien auf den Hausfrauen-Zug auf.
„Die AfD macht in ihren Programmen keinen Hehl aus ihren rückwärtsgewandten Frauen- und Familienbildern: Sie will hart erkämpften frauenpolitischen Fortschritt zurückdrehen und die heteronorme Kleinfamilie mit männlichem Oberhaupt reinstallieren. Sie will Ungleichheit und die Wiederherstellung einer vermeintlich natürlichen, patriarchalen Ordnung“, warnte die Vorsitzende des Deutschen Frauenrats, Dr. Beate von Miquel zu Beginn des Superwahljahres 2024.
Die Rückbesinnung auf Antifeminismus und die Instrumentalisierung durch rechte Parteien ist ein Feminismus-Backlash sondergleichen und groteskes Bauerntheater obendrein. Denn: “Noch nie war eine Frauengeneration so gut ausgebildet wie heute und noch nie war sie auf dem Arbeitsmarkt so gefragt wie jetzt. Allerorten wird über den Fachkräftemangel geklagt, aber die weiblichen Fachkräfte hocken zu Hause”. Die Journalistin und Autorin Simone Schmollack rechnete schon vor über 10 Jahren vor, wie teuer eine Tradwife ist – auch wenn es diesen Begriff 2012 noch nicht gab. Damals schrieb Schmollack für den Deutschlandfunk: “Für den Mann ist sie billig, für die Gesellschaft aber teuer: die Hausfrauenehe. Über eine halbe Million Euro kostet eine Frau, die sich vor allem um Heim, Herd und Hund kümmert.”
Zustande kommt diese Summe unter anderem durch das Ehegattensplitting oder wenn Hausfrauen in der Krankenkasse ihres Gatten kostenlos mitversichert sind und später vielleicht Witwenrente beziehen, ohne je selbst etwas eingezahlt zu haben.
“Bezahlen müssen das all jene, die jeden Morgen ins Büro, in die Fabrik oder auf die Pflegestation hetzen”, so Schmollack. “Vollzeit tätige Frauen und Männer, darunter auch prekär Beschäftigte und Alleinerziehende, die selbst jeden Cent umdrehen müssen.” Darüber hinaus ist das Hausfrauenmodell – wenn man es sich denn leisten kann – für die Hausfrau selbst ein großes finanzielles Risiko, zum Beispiel, wenn es zur Trennung kommt und sie ohne alles dasteht.
Care-Revolution statt Tradwifes
Stay-at-home-girl Carolina Tolstik ist der Meinung, dass unbezahlte Care-Arbeit durch den Tradwife-Trend mehr mediale Aufmerksamkeit und Sichtbarkeit bekommt: „Ich kriege unheimlich viel Zuspruch von Hausfrauen, die sagen: Endlich werden wir mal gesehen. Wir werden wahrgenommen.“
Als Alltagsfeministin geht es mir auch bei diesem Thema um Wahlfreiheit. Alle Menschen, egal welchen Geschlechts, sollten die gerechte Chance haben, so zu leben, wie es sie glücklich macht. Und vielleicht gibt der Tradwife-Trend genug Denkanstöße, um sich wieder einmal mehr die Fragen zu stellen, um die es beim Thema Care-Arbeit geht: Wie schaffen wir es, dass Arbeit und Familie sich ergänzen? Welche Aufgaben müssen Männer übernehmen? Wo sind die Tradhusbands?
Die Historikerin Hedwig Richter fragt in der ARD Doku „Tradwifes – Hausfrauen-Revival auf Instagram?“: “Wie können wir einen Raum schaffen, in dem sich alle wohl fühlen und gleichberechtigt sind? Wie kann das die Familie sein? Wie können wir ein Zusammenleben finden, das uns Sicherheit gibt, ohne dass dabei ein Geschlecht unter die Räder kommt?
Natürlich muss sich auch politisch etwas ändern. Der Staat muss mehr in Kindertagesstätten, Ganztagsschulen und Bildung investieren, statt weiter das Hausfrauenmodell zu finanzieren. Gleichzeitig braucht es ein neues Miteinander in unserer Gesellschaft, eine Care-Revolution. In der Podcastfolge zusammen mit Autorin Susanne Mierau geht es darum, was wir alle für ein gerechteres Miteinander tun können – privat und politisch. Denn füreinander zu sorgen muss das Ziel sein – aber bitte gerecht verteilt!
Wie geht Alltagsfeminismus, statt Alltagssexismus?
Wie eine Gestaltung Deines ganz persönlichen Lebens nach feministischen Idealen gelingt, kannst Du im Jahres-Coaching „Der Weg der Alltagsfeministin“ entwickeln. Für den Start des Jahres-Coachings mit Beginn ab Januar 2025 ist noch ein Platz frei. Schau direkt auf die Seite mit allen Informationen: Feministisches Jahres-Coaching „Der Weg der Alltagsfeministin“.
Sehr herzliche Grüße,
Deine Johanna
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Johanna Fröhlich Zapata
Johanna Fröhlich Zapata ist Mutter, Therapeutin, Medizinanthropologin und Co-Gründerin von Deutschlands erster Ausbildungsinstitution für Feministisches Coaching. Ihr Ziel ist es, Alltagsfeminismus als Prozess gesellschaftlichen Wandels mitzugestalten und Frauen und Männern gleichermaßen dabei zu unterstützen, einen lebenspraktischen Feminismus in ihrem Alltag zu etablieren.
Mit dem rbbKultur-Podcast «Die Alltagsfeministinnen» erreicht ihre Arbeit ein breites Publikum. In ihrer Privatpraxis bietet sie ein stark gebuchtes Coachingprogramm zum Thema an. Johanna Fröhlich Zapata lebt mit ihrer erweiterten Familie in großer Fürsorge-Gemeinschaft in Berlin.
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