Das letzte Kapitel aus meinem „Buch, dass du gelesen haben solltest, bevor du Mutter wirst”
Vielleicht ist der Tag der Verliebten ein Anlass für ein Gespräch über die Beziehung. „Es ist nicht die Liebe, die Beziehungen aufrechterhält; es sind gute Beziehungen, die die Liebe aufrecht erhalten.“ habe ich neulich irgendwo im Vorübergehen gelesen. Wie kann eine Beziehung nach der von Emilia Roig beschriebenen Revolution der Liebe aussehen? Emilia Roig hat das Vorwort zu meinem Buch geschrieben, hier veröffentliche ich heute das letzte Kapitel: Einen Liebesbrief, ein Händereichen, eine Einladung den Alltag liebevoll zu revolutionieren.
Disclaimer: Das ist ein heteronormatives Reprodukt im Versuch aus der Blase heraus ins Problemgebiet zu schreiben.
An den Mann an meiner Seite
Das hier sind deine Seiten in dem Buch, das ich gerade lese (oder gelesen habe). Mag sein, dass dich der Buchtitel beunruhigt hat. Man kennt das ja, die hochgestreckte Faust, „Frauen an die Macht”-Schlachtrufe, der (alte weiße) Mann als das ganz große Feindbild … Das kann schon mal schwer verdaulich sein für Vertreter des männlichen Geschlechts. Ganz ehrlich, das verstehe ich.
Aber es ist ein bisschen anders, als du denkst. Und in diesem Buch geht es definitiv nicht darum, dich als Menschen infrage zu stellen. Wie irre wäre es auch bitte, wenn mich ein Buch zur besseren Hälfte von uns beiden erklären würde? Die bin ich nicht und die möchte ich auch nicht sein. Warum sollte ich mich erhaben fühlen über dich? Darum geht es mir nicht und darum geht es auch bei all den Diskussionen und Gesprächen nicht, in denen ich dir sage, wie es sich für mich anfühlt, eine Frau zu sein in einer Struktur, die es mir nicht immer leicht macht, mich vor lauter Sosein selbst zu sehen, zu entfalten und zu feiern.
Ich bin genau wie du in einer sehr binären Welt aufgewachsen, die zwischen Frau und Mann unterscheidet, zwischen Schwarz und Weiß, zwischen falsch und richtig.
Mir wurde gesagt, wie hübsch mein Röckchen ist, dass ich eine richtige Prinzessin bin, wie lieb ich ausschaue und oft auch, dass ich nicht ganz so viel fordern soll.
Dir wurde hingegen erzählt, dass du stark sein musst, mutig und ein Beschützer. Du, der Mann im Haus. Dir wurde eingebläut, dass du geboren bist, um zu kämpfen, zu ernähren und um Erfolg zu haben. Wenn es nicht unsere Eltern waren, die uns so in unseren Rollen als Mädchen oder Junge definiert haben, dann haben das die Filme getan, die wir sahen, die T-Shirt-Aufdrucke auf unserem Bauch und die Spielzeuge, die wir geschenkt bekamen.
Was von uns erwartet wird, wurde uns schon früh aufs Butterbrot geschmiert, ganz zart oder so richtig mit Schmackes. Das hat dich vielleicht ab einem gewissen Alter davon abgehalten, deine Tränen offen zur Schau zu stellen oder anderen deine Ängste anzuvertrauen. Und ich habe irgendwann angefangen, an meiner Durchsetzungskraft zu zweifeln, an meinem Recht auf Individualität oder an meinem vom äußeren Erscheinungsbild entkoppelten Selbstwert.
Und all das, was man da in uns reinerzogen hat, macht bis heute was mit uns. Das macht, dass wir uns manchmal selbst fremd sind und uns nicht so gut verstehen und dass ich nicht begreife, was du dir wünschst, und du nicht begreifst, was ich mir wünsche. Das macht, dass wir uns manchmal völlig geschlechterstereotyp verhalten, weil wir das tief verinnerlicht haben. Weil es Dinge gibt, die „man” eben so macht.
Versteh mich nicht falsch – ich will gar nicht, dass wir beide so tun, als seien wir gleich. Ich liebe deine Energie, deinen Charakter und vieles an dem, was du tust und entscheidest. Was ich aber nicht liebe, ist der Automatismus, der uns manchmal unbewusst die Flügel stutzt. Dass manche Dinge bei uns nur deshalb so laufen, wie sie laufen, weil du der Kerl bist – und ich halt nicht.
Da geht es nicht mal nur (aber auch) um Ungerechtigkeit – und zwar nicht nur um Ungerechtigkeit mir gegenüber, sondern auch dir gegenüber. Es geht vor allem um die fehlende Freiheit, die zu sein, die wir idealerweise füreinander und für uns selbst sein könnten. Wer sagt denn, dass es immer besser ist, wenn die Frau länger in Elternzeit geht? Wer sagt, dass Männer nicht so gut darin sind, an Geburtstage von gemeinsamen Bekannten zu denken? Wer hat bestimmt, dass Frauen reinlicher, familienorientierter und weniger einkommensstark sind? Das ist ja alles nicht biologisch erklärbar – es gibt kein Fürsorge-Gen!
In diesem Buch habe ich gelesen, wie schön eine Partnerschaft und ein Familienleben aussehen können, wenn man möglichst viele dieser Automatismen überwindet. Ich weiß aber auch, dass es anstrengend ist, Dinge neu zu denken und Veränderungen willkommen zu heißen, wenn das Leben gerade so turbulent ist wie unseres. Denn das ist es – für dich sicherlich genauso wie für mich. Ich möchte dich trotzdem bitten, es mit mir gemeinsam zu versuchen, dieses „Das Alltäglichste hinterfragen”. Einfach, weil ich so Lust auf so ein Leben habe, von dem hier erzählt wird.
Ohne erhobene Faust und ohne Kampf, ich will nicht gegen dich kämpfen. Ich möchte allerhöchstens mit dir kämpfen. Für eine Welt, in der Jungs wahre Größe auch in schwachen Momenten zeigen dürfen und Mädchen an ihren inneren Werten gemessen werden, für eine Welt, in der wir beide entscheiden dürfen und können, wer wie viel arbeitet, wer wie viel Fürsorgearbeit leistet und wo unsere Stärken und Leidenschaften liegen oder entdeckt werden wollen. Ich möchte von deinen Ängsten erfahren und auch mal die starke Schulter sein dürfen, an die du dich anlehnst (auch, was die finanzielle Verantwortung angeht).
Wir beide können an jedem einzelnen Tag noch mal alle Würfel aufs Brett legen, alle Figuren auf Start stellen und neu anfangen. Es ist nur eine Entscheidung, nicht mehr gegeneinander zu spielen. Sei ehrlich, das hat uns nie weiter- gebracht. Lass uns das lieber zusammen angehen, gegen ein System, in dem wir beide Verlierer und Verliererin sind – wenn wir das zulassen.
Meine Bitte um Gespräche und einen Neuanfang, um eine Neuordnung und Veränderung unserer Denkart ist letztendlich ein Zeichen meiner Zuneigung. Ich will, dass wir beide ein großartiges Team sind, gleich würdig, gleich reich, gleich verantwortlich, gleich engagiert und doch jeder so verschieden vom anderen, wie wir nun mal verschieden sind und verschieden sein müssen, um uns gegenseitig zu bereichern.
Lass uns reden, respektvoll diskutieren, verhandeln, miteinander ringen und all die Veränderung genießen, die sich gut anfühlt für uns … denn nur so können wir gemeinsam etwas Neues gestalten.
Das ist es, was ich dich wissen lassen wollte.
Das ist es, was ich mir wünsche.
Ich freue mich auf jedes Gespräch mit dir, das hieraus entsteht, und vor allem freue ich mich auf all die Zeit, die vor uns beiden liegt. Wir zwei können sie gemeinsam zur besten Zeit unseres Lebens machen!
„Das Buch das du gelesen haben solltest, bevor du Mutter wirst”, kannst Du hier oder in der Buchhandlung Deines Vertrauens bestellen.
Ich wünsche Dir viel Spaß beim Lesen,
Deine Johanna
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Johanna Fröhlich Zapata
Johanna Fröhlich Zapata ist Mutter, Therapeutin, Medizinanthropologin und Co-Gründerin von Deutschlands erster Ausbildungsinstitution für Feministisches Coaching. Ihr Ziel ist es, Alltagsfeminismus als Prozess gesellschaftlichen Wandels mitzugestalten und Frauen und Männern gleichermaßen dabei zu unterstützen, einen lebenspraktischen Feminismus in ihrem Alltag zu etablieren.
Mit dem rbbKultur-Podcast «Die Alltagsfeministinnen» erreicht ihre Arbeit ein breites Publikum. In ihrer Privatpraxis bietet sie ein stark gebuchtes Coachingprogramm zum Thema an. Johanna Fröhlich Zapata lebt mit ihrer erweiterten Familie in großer Fürsorge-Gemeinschaft in Berlin.
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