Home Office mit Kindern? Leider noch immer meist Frauensache?
Eigentlich hatte Marie alles organisiert: Der Vater soll das Baby und die beiden Grundschüler im Home-Schooling für die eine Stunde zu übernehmen. Der Teenie hatte zugesagt, Plan B zu sein. Kein Problem, hatten beide gesagt. Also bestätigte Marie den Zoom-Meeting-Termin mit ihrer neuen Kundin. Die Themen: Was will die Kundin, was bekommt Marie dafür. Nichts besonderes, aber ein Moment, in dem ein einigermaßen kompetenter Auftritt nicht schaden kann. Soweit der Plan.
Plan versus Realität
Was Marie an besagtem Morgen wollte: Eine Stunde Ruhe, um souverän zu arbeiten.
Was Marie an besagtem Morgen bekam: Einen Mann, der dann – ups! – doch schnell ins Büro musste, weil sein Rechner sich nicht ins heimische Internet einloggen ließ, einen Teenie, der verpeilt hatte, dass er eine Videokonferenz mit Präsenzpflicht hatte, zwei Grundschüler, die sich am Küchentisch lautstark wüste Beleidigungen entgegenpfefferten und ein Baby auf dem Arm, das ihr während des Videocalls die Haare ausrupfte, den Laptop zuknallen wollte und einen nervtötenden Meckerton in Dauerschleife in ihr Ohr nölte. Kostenlos dazu gab es das Gefühl, völlig überfordert zu wirken und genau das Gegenteil von souverän zu sein.
Working Mom versus Working Dad
Ich bin mir sicher: Was Marie an diesem Morgen passiert ist, passiert im Moment Tausenden Müttern da draußen. Eine „Working Mom“ zu sein, bedeutet für die allermeisten Mütter schon ohne Pandemie, immer die erste zu sein, die von Kita und Schule wegen Bauchschmerzen angerufen wird. Diejenige zu sein, die nachmittags den Stift fallen lassen oder ein Meeting frühzeitig verlassen muss, weil die Kinder heute wegen der Erzieherfortbildung früher abgeholt werden müssen. Und es sind meist die Mütter, die noch schnell um 10 Uhr per Whatsapp die Nachmittagsverabredungen mit den anderen Müttern klären. Völlig losgelöst von der Frage, wie viele Stunden sie arbeiten, Frauen sind die bevorzugten Eltern in so ziemlich allen Fragen der Organisation. Ein Kompliment? Vielleicht. Aber ein sehr vergiftetes…
Home Office mit Kindern ist eine Legende
Seit Corona ist die Lage für Frauen noch viel verrückter. Als sei Kinderbetreuung einzig eine Frage physischer Präsenz, wird einfach der Arbeitsplatz nach Hause verlagert. Einige wenige Paare haben es geschafft, die Situation als Chance zu begreifen und die Kinderbetreuungs- und Arbeitszeiten so aufzuteilen, dass man von gleichwertiger Elternschaft sprechen kann. Doch in den meisten Familien sind es wieder die Mütter, die sich um die „wichtigen Calls“ der Männer herumorganisieren, abends und am Wochenende vor dem Rechner sitzen. Sie sind wie Marie am Ende doch wieder das sichere Netz, in das alle bequem fallen, wenn es hart auf hart kommt. Seien wir ehrlich: Home Office mit Kindern (zumindest mit kleinen) ist eine Legende. Und wenn der Arbeitgeber oder die Arbeitgeberin noch so verständnisvoll ist: Keine Frau sollte wie Marie ihr Gehalt verhandeln müssen, während ihr vor laufender Kamera ein mit Brei beflecktes Baby an den Haaren zieht. Punkt.
Home Office, Kinder krank, Notfallnummer: Was Frauen tun können, um ihre Gleichwürdigkeit zu verteidigen
Gibt es für all das eine Lösung? Ja, die gibt es. Sie heißt „Nein“. Keine Frau muss stillschweigend anerkennen, dass der Arbeitstag des Mannes mehr Relevanz hat als ihr eigener. Keine Frau muss wie selbstverständlich ihre eigene Handynummer als erste Notfallnummer in der Schule hinterlegen. Keine Frau muss sich als Sicherheitsnetz zur Verfügung stellen. Und keine Mutter muss sich beruflich so viel unwichtiger fühlen, dass sie sich die gesetzlich möglichen „Kind-krank-Tage“ des Partners auch noch überschreiben lässt.
Es ist so fest in uns als Frauen verankert, dass wir am Ende die Verantwortung für das familiäre Wohlergehen tragen, dass wir es manchmal gar nicht mehr merken, was wir da eigentlich alles auf unsere Schultern laden. Manchmal selbst gewählt. Manchmal auferlegt. Aber immer, ja wirklich immer, mit der Option, auch mal „Nein“ zu sagen und „Nein“ durchzuziehen. Denn wenn wir immer das sichere Auffangnetz sind, dann sind wir niemals die Springer. Es ist einfach so, Vereinbarkeit hin oder her: Mit Baby auf dem Arm oder keifenden Kindern am Küchentisch springt es sich aber eher schlecht. Und zwar auch – oder insbesondere – im Home Office.
Hier findest Du mehr Tipps, wie Du Dein Leben als Mutter sofort einfacher machst.
Lesetipp: Sarah Connors Artikel zum Thema in der Zeit.
Alltagsfeministische Grüße,
Johanna
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Johanna Fröhlich Zapata
Johanna Fröhlich Zapata ist Mutter, Therapeutin, Medizinanthropologin und Co-Gründerin von Deutschlands erster Ausbildungsinstitution für Feministisches Coaching. Ihr Ziel ist es, Alltagsfeminismus als Prozess gesellschaftlichen Wandels mitzugestalten und Frauen und Männern gleichermaßen dabei zu unterstützen, einen lebenspraktischen Feminismus in ihrem Alltag zu etablieren.
Mit dem rbbKultur-Podcast «Die Alltagsfeministinnen» erreicht ihre Arbeit ein breites Publikum. In ihrer Privatpraxis bietet sie ein stark gebuchtes Coachingprogramm zum Thema an. Johanna Fröhlich Zapata lebt mit ihrer erweiterten Familie in großer Fürsorge-Gemeinschaft in Berlin.
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