2024 ist ein Schaltjahr und wir bekommen einen Tag geschenkt – den 29. Februar! In drei von vier Jahren wird dieser Schalttag einfach übergangen und nicht gesehen. Er ist unsichtbar. Wie die Care-Arbeit. Deswegen wird jährlich am 29. Februar bzw. 1. März der Equal Care Day begangen.
Die Initiative Equal Care Day ist ein Projekt des gemeinnützigen Vereins klische*esc e.V. unter Federführung von Almut Schnerring und Sascha Verlan. Die beiden freiberuflichen Journalist:innen haben den Aktionstag bereits 2016 ins Leben gerufen, um unsichtbare, unbezahlte Care-Arbeit und Mental Load sichtbar zu machen. Also die private und professionelle Pflege- und Fürsorge-Arbeit rund um Alte, Kranke, Kinder und Küche.
80 Prozent dieser Arbeiten leisten Frauen – mit viel Verantwortung und wenig Wertschätzung, wie Almut und Sascha in diesem Video erklären.
Dabei ist Care-Arbeit Dreh- und Angelpunkt unserer Gesellschaft und die Basis für ein nachhaltiges Wirtschaften. Care-Arbeit geht uns alle an! Care-Arbeit muss ins Rampenlicht!
Warum ist das Thema relevant?
Der Gender Care Gap beschreibt die Differenz in geleisteter Care-Arbeit (Haus-, Pflege und sonstige Fürsorgearbeit) zwischen den Geschlechtern. Er ist die Ursache aller Ungleichheit zwischen Mann und Frau in unserer Gesellschaft, denn Frauen leisten täglich im Schnitt 1,5 Stunden mehr Care-Arbeit und verlieren so bis zu 70% ihres gesamten Lebenseinkommens, wenn sie Mutter werden.
Das beschreibt Louisa Plasberg, Co-Gründerin von equaly in ihrem Gastbeitrag: „Care-Arbeit per App besser aufteilen” für meinen Blog: „Als die ersten um mich herum 30 wurden, geheiratet und Kinder bekommen haben, habe ich immer wieder eine ähnliche Beobachtung gemacht: Im Job sind alle für Gleichberechtigung, Frauen in Führungspositionen, Diversity. Aber zuhause verfallen Paare oft ungewollt und unbewusst in ziemlich traditionelle Rollen. Dann ist es immer die Frau, die gekocht hat, wenn man irgendwo zum Essen eingeladen ist und die Elternzeitaufteilung von 12 (Mutter) + 2 (Vater)-Monaten wird bei den meisten Paaren als der „Normalfall” angesehen.”
Das ist nicht nur ein gesellschaftliches Problem, sondern es reicht bis in die individuelle Paarbeziehung hinein. Das zeigt auch ein Beispiel aus meiner Coaching Praxis: Seit Franzi Mutter einer Tochter geworden ist, erkennt sie ihre vorher gleichberechtigte Beziehung nicht mehr wieder: Sie kümmert sich um Haushalt und Baby. Ihr Mann geht arbeiten. Stress und Diskussionen über Aufgabenverteilung bestimmen den Alltag der jungen Familie. Franzi will wissen, wie sie da rauskommt. Auch wenn Arbeitswelt, Familienpolitik und Steuersystem immer noch auf einen (oft männlichen) Hauptverdiener zugeschnitten sind.
In der Podcast-Episode „Hausfrau des Jahres? So läuft‘s fair in der Familie” von „Die Alltagsfeministinnen” lernt Ihr, wie Ihr Care-Aufgaben sichtbar macht und gerechter verteilt.
Dabei geht es natürlich auch um Geld, wie das Beispiel meiner Klientin Alexandra zeigt. Sie war jahrelang alleinerziehend, während der Vater ihres Kindes Karriere gemacht hat. Alexandra fordert für die unbezahlten Stunden in Haushalt und Kinderbetreuung über 100.000 Euro von ihrem Ex. Denn was Care-Zeit an Geld wert ist, kann man ganz leicht ausrechnen. Mit dem Care-Rechner!
In der Podcast-Folge „Jetzt wird abgerechnet: So viel ist Deine Care-Arbeit wert” geht es auch um die Frage, welche Folgen die Arbeitsteilung in der Familie für das Einkommen und Deine Rente hat.
Gender Pay Gap
Denn ein Gender-Gap kommt selten allein. Der Gender Care Gap hat meist auch den Gender Pay Gap zur Folge. Die Lohnlücke zwischen den Geschlechtern lag im Jahr 2023 bei 18 %, d.h. Frauen verdienten pro Stunde 18 % weniger als Männer. Diese geschlechtsspezifische Ungerechtigkeit entsteht zum Teil auch dadurch, dass Frauen häufiger in schlechter bezahlten Branchen arbeiten – zum Beispiel in sozialen Berufen, wie der Pflege oder Kinderbetreuung – und sobald eigene Kinder da sind, häufiger in Teilzeit gehen. Bei vergleichbarer Qualifikation, Arbeit, Arbeitszeit und Erwerbsbiografie liegt die Entgeltlücke immer noch bei sieben Prozent. Laut Gender Gap Report 2022 dauert es bei gleichbleibender Entwicklung 132 Jahre bis zur Gleichstellung.
Gender Pension Gap
Wer im Erwerbsleben weniger verdient, hat natürlich später eine kleinere Rente. Et voilà, da wartet dann also die nächste Ungerechtigkeit: Der Gender Pension Gap. Wegen der Rentenlücke klotzt meine Klientin Mercedes mit 57 jetzt nochmal richtig rein. Denn wie viele Frauen hat Mercedes durch die Erziehungszeiten ihrer drei Töchter weniger Rentenansprüche. Da Care-Arbeit unbezahlt ist, führt sie zur Feminisierung von Altersarmut.
Jede fünfte Frau ab 65 Jahren gilt laut Statistik als armutsgefährdet. Die Alterseinkünfte von Frauen sind deutlich geringer, als die von Männern. Laut statistischem Bundesamt liegt das geschlechtsspezifische Gefälle bei bei 29,9 Prozent. Ohne Hinterbliebenenrente wären es sogar 42,6 Prozent. Mehr dazu in der Podcast-Folge “Working Granny – Zwischen Rentenlücke und Enkeldiensten”.
Rechne aus, wie groß Deine Rentenlücke ist!
Studie zu Familien- und Arbeitszeit
Viele Zahlen, viele Lücken: Gender Pay Gap und Gender Pension Gap – beide Phänomene sind auf den Gender Care Gap zurückzuführen. Doch noch immer zählt in Wirtschaft und Gesellschaft nur Erwerbsarbeit und nicht die Fürsorge-Arbeit.
„Der Arbeitsmarkt muss sich generell mehr nach den Rhythmen von Familien orientieren und nicht immer nur erwarten, dass sich Familien an den Arbeitsmarkt anpassen“, fordert Prof. Dr. Martin Bujard im RadioEins Interview. Er ist Forschungsdirektor des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BIB). Eine Studie des (BiB) hat sich mit der Frage beschäftigt, welche Idealvorstellungen bei der Aufteilung von Familien- und Erwerbsarbeit herrschen. Die Befragten sind u.a. der Meinung, dass Mütter einige Stunden mehr und Väter einige Stunden weniger erwerbsarbeiten sollten.
„Wenn man die Erwerbs-, die Haus- und Fürsorgearbeit zusammenrechnet, dann arbeitet man ca. 65 Stunden pro Woche über mehrere Jahre hinweg. Diese ‚Rushhour des Lebens‘ sei für junge Eltern eine unglaubliche Gesamtbelastung. „Die Anpassung der tatsächlichen Arbeitszeiten an die von den Befragten als ideal empfundenen hätte in Anbetracht des Fachkräftemangels langfristig positive Effekte für den Arbeitsmarkt“, meint Leonie Kleinschrot, Mitautorin der Studie.
Um diese Anpassung zu erreichen, müssten Mütter beim Wiedereinstieg in den Job besser unterstützt werden, um – wenn selbst gewünscht – schrittweise zu höheren wöchentlichen Arbeitszeiten und weiteren Karriereschritten zu gelangen. Dazu könnte auch beitragen, wenn Väter in der „Rushhour des Lebens“ die Arbeitszeit in Richtung vollzeitnahe Teilzeit reduzieren und so potenziell mehr Zeit für die Familie hätten, so die Autor:innen der Studie.
Wir brauchen eine Care-Revolution
Familie und Beruf sind noch viel zu häufig eine unvereinbare Doppelbelastung. Auch wenn diese Diskrepanz heute immer mehr in den Fokus rückt. Bücher wie „Die Frau fürs Leben ist nicht das Mädchen für alles“ (Laura Fröhlich) oder „Raus aus der Mental Load Falle“ (Patricia Cammarata) dominieren die Bestsellerlisten in der Sparte Sachbuch. Susanne Mierau fordert in ihrem Buch „Füreinander sorgen – warum unsere Gesellschaft ein neues Miteinander braucht“ ein gesellschaftspolitisches Umdenken. Statt der Erwerbsarbeit solle die Fürsorge-Arbeit im Mittelpunkt stehen, der alles andere untergeordnet wird. Denn Care ist Kitt! Care hält unsere Gesellschaft zusammen. Ohne Menschen, die Kinder betreuen oder Alte pflegen, bräche unser kapitalistisches System zusammen, weil niemand mehr Zeit hätte.
In der Podcast-Folge “Susanne Mierau und die Care Revolution”
geht es u.a. um Kürzungen beim Elterngeld und wir besprechen, was jede*r Einzelne für ein gerechteres Miteinander tun kann – privat und politisch.
Wenn Du aber von Revolution (noch) nicht so viel hältst, geht es auch im Kleinen. Bei Dir zuhause mit schon erwähnter Web App namens equaly. Equaly ist ein digitaler Begleiter für eine bessere Verteilung von Care-Arbeit. Hierbei geht es um Sichtbarkeit, klare Verantwortlichkeiten und regelmäßige Check-Ins. Spoiler: Mit regelmäßigen Care-Arbeits-Besprechungen sinkt das Streitpotential im Alltag. Weniger Zoff an Spülmaschine, Eisfach und Hausaufgabenhefter, das wäre doch was…
Mach mit!
Das Vereins- und Redaktionsteam der Equal Care Day -Initiative sucht nach helfenden Händen und Köpfen, die sich in den Bereichen Verwaltung, Projekte, SocialMedia, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Fundraising, Blog und vieles mehr engagieren möchten. Das Team ist ein bundesweites, das sich per Zoom, E-Mail & Slack abspricht, um den Equal Care Day 2024 und darüber hinaus gestalten. Die Online Redaktionssitzungen finden 14-tägig statt. Wer Interesse und Zeit hat, sich einzubringen, meldet sich gerne über post@equalcareday.de bei uns!
equalcare.de
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Johanna Fröhlich Zapata
Johanna Fröhlich Zapata ist Mutter, Therapeutin, Medizinanthropologin und Co-Gründerin von Deutschlands erster Ausbildungsinstitution für Feministisches Coaching. Ihr Ziel ist es, Alltagsfeminismus als Prozess gesellschaftlichen Wandels mitzugestalten und Frauen und Männern gleichermaßen dabei zu unterstützen, einen lebenspraktischen Feminismus in ihrem Alltag zu etablieren.
Mit dem rbbKultur-Podcast «Die Alltagsfeministinnen» erreicht ihre Arbeit ein breites Publikum. In ihrer Privatpraxis bietet sie ein stark gebuchtes Coachingprogramm zum Thema an. Johanna Fröhlich Zapata lebt mit ihrer erweiterten Familie in großer Fürsorge-Gemeinschaft in Berlin.
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