Ich werde oft gefragt und hinterfrage mich selbst häufig: Darf man aus Feminismus Kapital schlagen? “JA!”, möchte ich spontan rufen. Aber die Antwort ist wie immer nicht so leicht. Es kommt auf das WIE an. Schließlich ist der Grat zwischen Aufklärungsarbeit und Unternehmerinnentum ein schmaler. Und: Kapitalismus ist eng verzahnt mit dem Patriarchat. Also: Was tun?
Deckmantel des Feminismus
Feminismus ist eine soziale, politische und kulturelle Bewegung, die sich für die Gleichberechtigung der Geschlechter und die Anerkennung der Rechte von Frauen einsetzt. Feminismus ist in vielen Ländern und Gesellschaften eine anerkannte und respektierte Ideologie. So weit, so toll. Das haben viele Unternehmen für sich erkannt und werben unter dem Deckmantel des Feminismus für ihre Produkte.
Zum Beispiel hat die Burger-Kette „McDonald’s“ zum Weltfrauentag 2020 einen einminütigen Werbeclip produzieren lassen, in dem das Können von Frauen in den Mittelpunkt gestellt wird. Das Statement unter dem Hashtag #weilichskann lautet: „Nicht die Zeiten ändern sich, ich ändere sie.“ Aber was soll uns dieser Werbeclip sagen? Wenn du für Frauenrechte bist, iss Burger?
Fastfoodketten waren in der Vergangenheit wegen niedriger Löhne oder schlechter Arbeitsbedingungen oft in der Kritik. Es ist wichtig zu prüfen, ob besagter Burger-Brater wirklich Chancengerechtigkeit und Vielfalt in seinen Einstellungspraktiken und Beförderungsmöglichkeiten gewährleistet.
Auch die Firma „Mattel“ will unter dem Label Feminismus den Absatz ihrer Produkte ankurbeln. Ausgerechnet mit der Puppe, die ohne Highheels immer umkippt: Barbie. Es gibt nicht nur die Reihe “Barbie inspiring women”, u.a. mit einer Puppe der US-amerikanischen Bürger- und Frauenrechtlerin Ida B. Wells. Da sind auch die “Carreer Dolls” mit Barbie als Doktorin, Wissenschaftlerin oder Feuerwehrfrau sowie “Barbie for more Role Models”.
Als Role Model mit eigener Puppe dienen hier zum Beispiel Frauen wie die deutsche Meeresforscherin und Mikrobiologin Dr. Antje Boetius, die italienische Astronautin Samantha Cristoforetti oder die japanische Tennisspielerin Naomi Osaka.
Ist das gut oder nur gut gemeint? Die herkömmliche Barbie-Puppe verkörpert schließlich immer noch das ungesunde und unrealistische Schönheitsideal mit extrem schlanker Taille, langen Beinen und großem Busen. Außerdem ist Barbie Teil einer breiteren Konsumkultur, die ein spezifisches Bild von Glück und Erfolg durch materielle Besitztümer vermittelt. Das alles erinnert ein bisschen an Purplewashing.
Solidarität als Statussymbol
Die Farbe Purpur/Lila/Violett steht seit jeher für den Feminismus. Der Begriff Purplewashing beschreibt eine Marketingstrategie, bei der sich Unternehmen oder Organisationen mit feministischen Anliegen assoziieren. Zum Beispiel Gleichberechtigung verkünden, diese aber in der Unternehmenskultur nicht leben oder in ihren Geschäftspraktiken sogar diskriminierend sind.
Wenn H&M „The Future is Female“-Shirts verkauft, die von unterbezahlten POC Frauen in „Drittländern“ hergestellt werden, dann verbirgt sich hinter dem Feminismus-Label nur eine manipulative Taktik, um Geld zu machen.
Purplewashing ist wie Pink- oder Greenwashing ein zynischer Versuch, von sozialen Problemen abzulenken und das eigene Image zu verbessern. Die Anliegen von marginalisierten Gruppen werden instrumentalisiert, um finanziellen Gewinn zu erzielen, während die Unternehmen selbst kaum substantielle Unterstützung oder Veränderung bieten. Hier schließt sich auch der Begriff “performativer Feminismus” an. Solidarität als Statussymbol.
Feminismus als It-Piece der Saison?
Was es neben Puppen oder feministischen Burgern nicht noch alles gibt! Zum Beispiel einen kalifornischen Rotwein namens “The Feminist Party”, Klitoris-Ohrringe, Vulva-Letten, “Viva-La-Vulva”-Halsketten, Mentstruations(Kaffee)Tassen oder T-Shirts mit feministischen Botschaften, wie „We should all be Feminists“ – aus dem Hause Dior für schlappe 750 Euro.
Der Kapitalismus hat längst Besitz von dem Wort „Feminismus“ ergriffen. Comedienne und Feministin Carolin Kebekus bringt es in einer ihrer Shows auf den Punkt: „Feminismus ist angesagt, Feminismus ist überall, Feminismus ist der heiße Scheiß. Feminismus ist DAS Accessoire der Saison.“
Während „Feministin“ vor gar nicht allzu langer Zeit noch als Schimpfwort galt, ist es heute cool, sich einen Feminismus-Button an die Brust zu heften. Feminismus ist sichtbarer geworden und feministische Debatten sind präsenter. Doch zurück zur Frage: Darf man mit Feminismus Geld verdienen oder muss die Frage besser lauten:
Darf Mann mit Feminismus Geld verdienen?
Kapitalismus und Patriarchat
Unternehmen, die mit Feminismus werben, haben oft eines gemeinsam: Sie werden von Männern geführt. Die Modemarke „Dior“ hat mit Maria Grazia Chiuri zwar eine weibliche Designerin. Sie ist aber die erste weibliche künstlerische Leiterin des 1946 gegründeten Hauses. Und die Chefs sind Männer: Bernard Arnault (Vorsitzender) und Pietro Beccari (CEO).
Die Barbie-Firma Mattel wird von Businessman Ynon Kreiz geleitet, McDonald’s von Christopher Kempczinski. Die Vorstellung davon, wie Frauen zum Konsum bewegt werden sollen, ist also oft männlich dominiert und von gewachsenen gesellschaftlichen Strukturen geformt, in denen Männer Firmen leiten.
Die US-amerikanische Literaturwissenschaftlerin und Vertreterin des Black Feminism, bell hooks schreibt in ihrem Buch „all about love“: „Kapitalismus und Patriarchat haben als Unterdrückungsstrukturen über die Zeit zusammengearbeitet“. Kapitalismus und Patriarchat gehen also Hand in Hand.
Das optimierte Frauenbild
Doch natürlich machen nicht nur männergeführte Unternehmen mit einer (pseudo-)feministischen Haltung Geld! Die Firma “Goop” von der Schauspielerin Gwyneth Paltrow wird auf 250 Millionen US-Dollar geschätzt. Bekannt wurde das Lifestyle-Unternehmen mit einem Ei, das Frau sich in die Vagina einführen soll, um eine hormon- und zyklusregulierende Wirkung zu erzielen. Dieses Ei hat seinen Preis: 66 US-Dollar (57 Euro) für die Ausführung aus Jade, 55 Dollar für die aus Rosenquarz. Die angeblich heilende Wirkung konnte aber nie nachgewiesen werden. So musste das Unternehmen 2018 rund 155 Dollar Strafe zahlen und seine Kund*innen entschädigen.
Goop hat aber noch andere Produkte im Angebot – zum Beispiel einen Dildo aus 24-karätigem Gold für 1.249 US-Dollar – im Sale. Der Originalpreis liegt bei über 3000 Dollar. Und da wäre natürlich noch die Duftkerze, die nach Gwyneth’ Vagina riechen soll oder aber das dazugehörige Parfüm “Smells like my vagina” als praktischer Roll-On (10 ml für 45 Dollar). Es ist ja grundsätzlich eine gute Idee, Frauen zu vermitteln, dass wie auch immer geartete Körpergerüche nichts sind, wofür Frau sich schämen muss. Bodypositivity und so.
Aber tatsächlich duftet das Parfüm nicht nach Vagina, sondern laut Produktbeschreibung nach Zedernholz, Bergamotte und Damaszener Rose. Das suggeriert, dass wir im Schritt besser nach Blumen duften sollten, statt nach Körper. Viel zu oft will man uns etwas verkaufen, das uns angeblich zu besseren Frauen macht. Das Frauenbild, mit dem im Kapitalismus für Konsum geworben wird, ist darauf ausgelegt, Frauen zu ständiger Optimierung, Attraktivität und Verschönerung zu bewegen.
Aufklärung, Sichtbarmachung, Nachhaltigkeit
Aber es gibt durchaus Firmen, bei denen sich Wirtschaftlichkeit und Feminismus nicht ausschließen. Nämlich, wenn es um nachhaltige Aufklärung und Sichtbarmachung von stigmatisierten Themen geht, wie die Menstruation.
Die Unternehmerinnen Sinja Stadlmeier und Ann-Sophie Claus haben „The Female Company“ gegründet, um “Schluss mit blauen Flüssigkeiten, ‘Mumus’ und ‘Erdbeerwochen’” zu machen, heißt es auf der Homepage. Sie wollen endlich die „Tamponfaust“ abschaffen. Es soll für menstruierende Menschen keinen Grund mehr geben, Tampons auf dem Weg zur Toilette verschämt in ihrer Faust zu verstecken. Dafür sollen Bio-Tampons im Abo-Modell oder Menstruationsunterhosen sorgen, die nicht nach Windeln aussehen.
Natürlich hat das Unternehmen auch Rasierer, ein Sextoy und jede Menge obligatorische Merchandiseartikel in hochprofessionellem Branding im Angebot – aber eben auch Ratgeberartikel rund um Periode und Ausfluss sowie TikTok-Videos, bei denen sich der Sexualkundeunterricht in der Schule mal warm anziehen kann.
Darüber hinaus ist es erklärtes Ziel des Unternehmens, dass alle Inhaltsstoffe von Tampons auf der Verpackung angegeben werden. “Wir wollen wissen, was (wortwörtlich) in uns steckt!”, schreiben die Unternehmerinnen. Alles begann, nachdem ein US-amerikanisches Model beide Unterschenkel verlor – wegen eines Tampons. Lauren Wasser erlitt das toxische Schocksyndrom (TSS). Der Einsatz von Chemikalien oder deren Überreste in den Hygieneprodukten steigert das Risiko, an TSS zu erkranken. Das Model verklagte daraufhin eine der größten Tamponfirmen der Welt.
Und wo wir schon bei Tampons sind: Unter dem Motto “7 % auf Kaviar und Trüffel, aber 19 % auf Tampons? No way!” ging The Female Company 2019 gegen die unfaire Besteuerung von Periodenprodukten vor. Mit einem Trick. Weil Bücher nur mit 7% besteuert werden, brachte das Unternehmen das „Tampon Book“ auf den Markt: Tampons in einem Buch verpackt!
Das Berliner Start-Up “Einhorn” wiederum hat sich auf die Fahnen geschrieben, nicht nur vegane und nachhaltige Fairstainability-Kondome in bunten Chipstüten zu vertreiben, sondern auch Menstruations-Produkte, die so komfortabel sind, dass Männer Periodenneid bekommen. Das Start-Up hat außerdem ein “Feminist Funding” ins Leben gerufen. “Frauen verdienen immer noch weniger als Männer, besitzen weniger Vermögen als Männer, sie stellen 90 Prozent der Alleinerziehenden, beziehen im Alter nur halb so viel Rente, sind öfter von Altersarmut betroffen und jeden dritten Tag versucht ein Mann, eine Frau zu töten. Gleichberechtigung existiert nur in der Theorie”, heißt es auf der Homepage.
2022 konnte die Firma Einhorn durch den Verkauf ihrer Periodenprodukte 78.000 Euro an feministische NGOs und Initiativen ausschütten, die sich dem Kampf gegen patriarchale Strukturen verschrieben haben.
Selbstermächtigung ist das Zauberwort
Ein anderes Beispiel, wie man mit Feminismus Geld verdienen kann und gleichzeitig eine nachhaltige Veränderung der Gesellschaft hin zu mehr Gleichberechtigung fördert, liefert die Geschichte von Helma Sick. Sie erlebte eine Kindheit voller Entbehrungen und Gewalt im Bayern der Nachkriegszeit. Schon früh erkannte sie, dass ein großer Teil der Abhängigkeit von Frauen damit zusammenhängt, dass sie kein Geld haben.
Helma Sick begann, sich in der Frauenbewegung zu engagieren und startete eine erfolgreiche Karriere als Finanzberaterin – für Frauen. Sie bot unzähligen Frauen Hilfe zur Selbsthilfe. (Helma Sicks Geschichte hört ihr bei meiner Kollegin Sonja Koppitz im „Podcast Plus Eins“ von Deutschlandfunk Kultur.)
Selbst ist die Frau bei den Finanzen – das ist auch das Motto von Wirtschaftsjournalistin und Ökonomin Dani Parthum. Sie gründete mit “Geldfrau” eine Geldcoaching-Seite speziell für Frauen und sagt: „Finanzielle Eigenständigkeit und Eigenermächtigung ist die radikalste Form des Feminismus“. Finanzielle Eigenständigkeit als Selbstermächtigung? Klar! Wenn wir uns um unsere Finanzen kümmern, übernehmen wir Verantwortung für uns selbst. Unabhängig Geld verdienen und eigenständig Vermögen aufbauen sind also höchst feministisch.
Neben den Debatten um Ehegattensplitting, Grundeinkommen oder Quoten, die die Gefahren des Kapitalismus für Frauen begrenzen und ihn gerechter machen könnten, gibt es also durchaus Ansätze im Kapitalismus, die nicht auf ein devotes Frauenbild bauen, sondern Frauen ermächtigen, für sich selbst einzustehen und ihre Rechte einzufordern.
Auch in meinem „Alltagsfeminismus-Coaching“ geht es oft um Geld, Einkommen, Rente – sprich: finanzielle Unabhängigkeit. Mit meinen Klientinnen bearbeitete ich Fragen wie “Ist ein Ehevertrag nicht unromantisch?”, “Wie verhandele ich in Vorstellungsgesprächen?” oder “Wieviel ist meine Arbeit wert?” Für mich ist Feminismus eine Lebenseinstellung, eine gleichberechtigte Art zu leben – und die kann man sich erarbeiten.
Mein größter Erfolg ist es, wenn ich meine Klientinnen nach einem (Jahres)coaching entlasse und sie selbstbestimmt das Gelernte in die Welt tragen, ihren Alltag dahingehend leben und somit auch ein Stück weit für eine gerechtere, feministische Gesellschaft beitragen. Ich sehe mich als Multiplikatorin, die Frauen ermächtigt. Als systemische Coachin biete ich Hilfe zur Selbsthilfe. Und ja, dafür lasse ich mich bezahlen. So wie eine Psychotherapie auch Geld kostet oder ein Personal-Trainer im Fitness-Studio, ein Selbstverteidigungskurs oder die Mitgliedschaft im Lohnsteuerhilfeverein.
Fazit “JA, aber…”
Darf man also mit Feminismus Geld verdienen? Mein Fazit lautet: Ja, aber…
Es ist nicht ok, wenn die feministische Idee von Gleichstellung für finanzielle Interessen von Unternehmen ausgeschlachtet wird. Feminismus kann man sich nicht kaufen und in die Vitrine stellen. Es ist wichtig, die Intention und Interessen eines Unternehmens zu erkunden:
- Geht es nur ums Geldverdienen? Oder
- um einen wirklichen Impact, einen Nutzen für die Konsumentinnen und die Gesellschaft?
- Wie nachhaltig ist der Gedanke eines Produkts, eines Coachings?
Es ist wichtig, immer wieder kritisch zu hinterfragen, ob Unternehmen, Organisationen oder Dienstleister:innen, die sich mit Feminismus assoziieren, auch tatsächlich proaktive und authentische Schritte unternehmen, um die Rechte und das Wohlergehen von Frauen zu fördern.
Möglichkeiten, mit Feminismus Geld zu verdienen und gleichzeitig einen Beitrag für die Gleichstellung zu leisten, gibt es viele: Expert:innen können in Beratungen und Workshops ihr Wissen weitergeben, man kann feministische Bücher oder Artikel schreiben und veröffentlichen, feministische Veranstaltungen, Konferenzen und Festivals organisieren. Dazu gehört natürlich oft auch Lobbyarbeit: Organisationen und Einzelpersonen können Spenden und Fördermittel erhalten, um ihre Aktivitäten zu finanzieren.
Am Ende ist wichtig, dass Feminismus ethisch bleibt. Es darf keine Ausbeutung oder Verzerrung der feministischen Prinzipien stattfinden. Es geht um eine ehrliche und respektvolle Auseinandersetzung, um die Integrität der Bewegung zu bewahren und positive Veränderungen zu fördern.
Sehr liebe Grüße,
Deine Johanna
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Johanna Fröhlich Zapata
Johanna Fröhlich Zapata ist Mutter, Therapeutin, Medizinanthropologin und Co-Gründerin von Deutschlands erster Ausbildungsinstitution für Feministisches Coaching. Ihr Ziel ist es, Alltagsfeminismus als Prozess gesellschaftlichen Wandels mitzugestalten und Frauen und Männern gleichermaßen dabei zu unterstützen, einen lebenspraktischen Feminismus in ihrem Alltag zu etablieren.
Mit dem rbbKultur-Podcast «Die Alltagsfeministinnen» erreicht ihre Arbeit ein breites Publikum. In ihrer Privatpraxis bietet sie ein stark gebuchtes Coachingprogramm zum Thema an. Johanna Fröhlich Zapata lebt mit ihrer erweiterten Familie in großer Fürsorge-Gemeinschaft in Berlin.
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