Gleich vorweg ein feministischer Funfact: In den USA geht der Vatertag auf eine Frau zurück.
1909 schlug Sonora Smart Dodd aus Spokane im US-Bundesstaat Washington vor, einen speziellen Tag zu Ehren von Vätern zu schaffen – aus Dankbarkeit für die Liebe und Fürsorge ihres eigenen Vaters, der im amerikanischen Bürgerkrieg gekämpft und Sonora und ihre fünf Brüder allein großgezogen hatte, nachdem die Mutter verstorben war. Sonora Smart Dodds Idee des Vatertags breitete sich später auf andere Bundesstaaten aus und wurde 1972 schließlich durch einen Kongressbeschluss zum nationalen Ehrentag in den USA erklärt, der jeden dritten Sonntag im Juni gefeiert wird.
In Deutschland wird der Vatertag bekanntlich an „Christi Himmelfahrt” gefeiert und daher auch als „Herrentag” bezeichnet. Es ist üblich, dass Männer an diesem Tag Ausflüge oder Wanderungen in die Natur unternehmen. Um Bollerwagen mit Bier zu beladen, müssen die Herren nicht mal Väter sein. So oder so: Es wird gesoffen.
Und ja, natürlich sollen die Männer sich feiern und Spaß haben! Doch wenn der Alkohol nicht nur am Vatertag in Strömen fließt, sondern regelmäßig, wird er zum Problem…
Vom Genuss zur Abhängigkeit
In unserer Gesellschaft müssen wir uns eher rechtfertigen, wenn wir nichts trinken, als umgekehrt. Wer auf einer Party den Sekt dankend ablehnt, muss sich erklären. So nach dem Motto: Ein Gläschen in Ehren kann niemand verwehren. Ob der Wein zum Essen oder das Feierabendbierchen mit den Kollegen – Alkoholkonsum scheint gesellschaftlicher Konsens zu sein und gehört für viele Menschen zum Alltag. Kein Wunder. Kurzfristig kann ein Drink entspannen und gute Laune machen. Regelmäßiges Trinken allerdings kann ein Einstieg in die Alkoholabhängigkeit sein.
Alkoholismus ist eine ernsthafte Erkrankung. Die Symptome sind:
- ein starkes Verlangen nach Alkohol
- Toleranzentwicklung gegenüber immer größeren Mengen
- Entzugssymptome, wie Zittern, Schwitzen, Reizbarkeit etc.
- Fortsetzung des Trinkens trotz negativer Konsequenzen
- Vernachlässigung von Verpflichtungen und Interessen
- Kontrollverlust
Gefährdet ist man, wenn man trinkt, um Stress, Ängste oder Einsamkeit zu vergessen. Besonders Männer scheinen davon betroffen…
Alkoholismus bei Männern
Männer sind bei den meisten Suchterkrankungen deutlich häufiger betroffen als Frauen. Insbesondere was Alkohol- und Drogenabhängigkeit sowie Spielsucht betrifft. Oft sind drei Viertel oder mehr, aller Betroffenen, Männer. Einer Studie der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen zufolge sind rund 75 % der 1,6 Millionen als alkoholabhängig diagnostizierten Menschen in Deutschland männlich.
Schon Jungen und junge Männer konsumieren häufiger (siehe das PDF „Der Alkoholkonsum Jugendlicher und Junger Erwachsener in Deutschland, Ergebnisse des Alkoholsurveys 2018 und Trends”: https://www.bzga.de/fileadmin/user_upload/PDF/studien/Alkoholsurvey_2018_Alkohol-Bericht.pdf), mehr und risikoreicher Alkohol als Mädchen und junge Frauen. Männer greifen aber nicht nur häufiger zu Alkohol und/oder illegalen Drogen – sie werden auch häufiger davon abhängig. (Frauen hingegen konsumieren und missbrauchen häufiger Schmerz-, Schlaf- und Beruhigungsmittel sowie Nahrungsmittel.) Laut Bundesgesundheitsministerium starben 2016 in Deutschland
- 43.000 Männer und
- 19.000 Frauen
an einer ausschließlich auf Alkohol zurückzuführenden Todesursache.
Zusammenhänge zwischen Mannsein und Sucht
Woran liegt es, dass Männer offenbar ein erhöhtes Risiko haben, alkoholabhängig zu werden? Oft wird das stereotype Bild von Männlichkeit dafür verantwortlich gemacht. Mannsein bedeutet noch allzu oft Gefühle zu unterdrücken, vermeintliche Schwächen zu verheimlichen und stattdessen Perfektionismus an den Tag zu legen und Dominanz auszuüben. Aggression, Gewalttätigkeit und Exzessivität gelten häufig als „typisch männlich”.
In vielen Fällen entsteht der Alkoholmissbrauch bei Männern infolge von Gruppendruck. Regelmäßiges Koma-, Flatrate- oder Binge Drinking ist für einige männliche Jugendliche auch eine Art Mutprobe. Wer nicht mitmacht, gilt als Waschlappen.
In diesem „Gender-Käfig” gefangen, lassen Männer offenbar Härte und Gleichgültigkeit auch gegenüber der eigenen Gesundheit walten: Sie betäuben vorübergehend negative Emotionen und nutzen Alkohol zur Bewältigung von Druck, Angstzuständen oder Depressionen. Alkoholismus und Depression können bei Männern oft miteinander verbunden sein.
Männer, die an Depressionen leiden, versuchen mitunter, ihre emotionalen Schmerzen oder negativen Gefühle durch Alkoholkonsum zu lindern. Diese Selbstmedikation kann zwar vielleicht vorübergehend die Symptome der Depression lindern, aber auch zu einem riskanten Muster des Alkoholkonsums führen. Und es verhindert, sich mit den eigenen Gefühlen auseinanderzusetzen. Gesunder Bewältigungsmechanismus? Fehlanzeige.
Hörtipp: „Depression – Vom Betroffenen zum Krisenberater”
Das Leben mit Depression und Sucht ist schwer. Der Arzt Maik Behrendt weiß das aus eigener Erfahrung und hilft anderen als Peer-Berater. Maik war lange Zeit depressiv und substanzabhängig – heute berät er andere Menschen in ähnlichen Situationen. Meine Kollegin Sonja Koppitz sprach für Deutschlandfunk Kultur mit ihm über das Leben vor und nach der Diagnose, über Depression als Behinderung und den Umgang damit.
Männer leiden unter dem Patriarchat
Wir leben in einem gesellschaftlichen System, das Männer als dominante Gruppe positioniert und Frauen sowie nicht-binäre Personen unterdrückt oder benachteiligt. Männer profitieren oft von privilegierten Positionen in Bezug auf Macht, Ressourcen und soziale Anerkennung. ABER: Das bedeutet nicht, dass Männer nicht auch unter dem Patriarchat leiden können. Ob bewusst oder unbewusst.
Männer können unter dem Druck stehen, die traditionelle Rolle des „Ernährers” und Beschützers der Familie zu erfüllen, was zu finanziellen Belastungen, Arbeitsstress und Vernachlässigung der eigenen Bedürfnisse führen kann. Wenn sie diesen eigenen oder fremden Erwartungen nicht gerecht werden, kommen Unzufriedenheit oder ein Gefühl des Versagens auf. Doch Gefühle gehören im Patriarchat unterdrückt:
- Männer weinen nicht!
- Männer sind stark!
Das kann dazu führen, dass Männer Schwierigkeiten haben, sich Unterstützung zu suchen. Doch sich Hilfe zu suchen, wenn man(n) alkoholabhängig ist, kann Leben retten!
Es ist wichtig zu erkennen, dass das Patriarchat nicht nur Frauen und nicht-binäre Personen betrifft, sondern auch Männer. Strenge, einschränkende Geschlechterrollen sorgen dafür, dass Männer, die dem männlichen Stereotyp nicht entsprechen oder sich für Aktivitäten und Berufe entscheiden, die als „unmännlich” gelten, Diskriminierung, Stigmatisierung oder sozialen Druck erfahren.
Toxische Männlichkeit, die Aggression, Gewaltbereitschaft und Dominanz über andere als erstrebenswert ansieht, unterdrückt Männer, die alternative Formen von Maskulinität leben. Doch es gibt sie, die Männer, die zuhause bleiben und sich um die Kinder kümmern wollen! Es gibt sie, die Männer, die weinen, wenn sie traurig sind! Es gibt sie, die Männer, die frei und authentisch leben wollen!
Die Lösung ist die Befreiung von den Einschränkungen des Patriarchats. Mein Appell zum Herrentag lautet deshalb: Männer, werdet Feministen! Für die Gesellschaft, aber auch für euch selbst!
Erste Hilfe für den Mann: Das Patriarchat entlarven und Feminist werden
Schritt 1
Selbstreflexion: sich selbst hinterfragen und die eigenen Überzeugungen, Verhaltensweisen und Privilegien reflektieren. Dazu muss man(n) sich mit den eigenen Vorurteilen, Privilegien und der Rolle, die man(n) spielt, auseinandersetzen.
Schritt 2
Bildung und Bewusstsein schaffen: Frauen sind nicht dazu da, Euch das Patriarchat zu erklären. Selbst ist der Mann. Männer können sich über die Strukturen des Patriarchats informieren und verstehen, wie sie in Politik, Wirtschaft, Familie und Kultur wirken. Lest Bücher, hört Podcasts und diskutiert!
Schritt 3
Zuhören und Unterstützen: Wenn Frauen und nicht-binäre Personen ihre Erfahrungen mit Sexismus, Diskriminierung und Unterdrückung teilen, sprecht ihnen nicht ihre Gefühle und Erfahrungen ab, sondern zeigt euch solidarisch. (Reminder: Auch Männer leiden unter dem Patriarchat!)
Schritt 4
Verhalten ändern: Männer können sich aktiv und bewusst gegen sexistische Sprache und Verhaltensweisen entscheiden, die Gleichberechtigung am Arbeitsplatz fördern oder sich für die Beseitigung von Ungleichheiten in der Familie einsetzen. Seid Macher statt Macker!
Es ist wichtig, dass Männer sich ihrer Rolle als Verbündete bewusst sind und sich aktiv für eine gerechtere und inklusivere Gesellschaft einsetzen. Männer, die kapiert haben, dass das Patriarchat auch ihnen selbst schadet, sind auf einem guten Weg, den Genderkäfig zu verlassen.
Bitte hierzu „Das Buch, das jeder Mann lesen sollte“ vom Feminist Lab, aus diesem Buch habe ich diese Anleitung in 4 Schritten frei paraphrasiert.
Feminist zu werden, ist nicht nur besser, sondern vor allem auch gesünder, als sich das Patriarchat schönzusaufen. Ich möchte alle Männer herzlich dazu einladen! Dennoch ist es mir wichtig zu betonen, dass Alkoholismus eine ernsthafte Erkrankung ist, die Menschen jeden Geschlechts betreffen kann und die eine professionelle Behandlung erfordert.
Weitere Infos und Hilfe
- Alkohol-Selbsttest
- Anonyme Alkoholiker
- Kenn dein Limit: Portal der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung: https://www.kenn-dein-limit.de/
- Männergesundheitsportal: Wegweiser im Bereich Männergesundheit: https://www.maennergesundheitsportal.de/
- IRIS Plattform: Anonyme Beratung für Schwangere
https://www.iris-plattform.de/
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Johanna Fröhlich Zapata
Johanna Fröhlich Zapata ist Mutter, Therapeutin, Medizinanthropologin und Co-Gründerin von Deutschlands erster Ausbildungsinstitution für Feministisches Coaching. Ihr Ziel ist es, Alltagsfeminismus als Prozess gesellschaftlichen Wandels mitzugestalten und Frauen und Männern gleichermaßen dabei zu unterstützen, einen lebenspraktischen Feminismus in ihrem Alltag zu etablieren.
Mit dem rbbKultur-Podcast «Die Alltagsfeministinnen» erreicht ihre Arbeit ein breites Publikum. In ihrer Privatpraxis bietet sie ein stark gebuchtes Coachingprogramm zum Thema an. Johanna Fröhlich Zapata lebt mit ihrer erweiterten Familie in großer Fürsorge-Gemeinschaft in Berlin.
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