Um es kurz zu machen: Nein! Gleichberechtigung darf und kann kein Luxus sein, denn die Definition von Luxus lautet: „kostspieliger, verschwenderischer, den üblichen Rahmen (der Lebenshaltung) stark übersteigender, nur dem Genuss und Vergnügen dienender Aufwand“.
Nichts davon trifft zu, bzw. nichts davon sollte zutreffen. Trotzdem kenne ich so viele Paare (und ich schreibe bewusst Paare, weil nicht nur Frauen nach einer gleichberechtigten Partner:innerschaft und Elternschaft streben), die es sich schlicht nicht leisten können, Arbeit und Care-Arbeit gleichmäßig aufzuteilen. Wie kommt das?
Der Mann verdient meist mehr
Seit Jahrzehnten ein Thema, und nur ganz langsam tut sich etwas. Noch immer verdienen Frauen weit weniger als Männer. Weil typische Frauenberufe schlechter bezahlt werden, weil Frauen leider noch immer eher schlechter gestellt aus Gehaltsverhandlungen gehen (weil ihnen dir Fürsorge-Rolle zugeschrieben wird) und weil Frauen in einer heterosexuellen Partnerschaft durchschnittlich meist jünger sind als der männliche Partner, ergo zum gleichen Zeitpunkt weniger Berufserfahrung haben.
Ein Teufelskreis…
Denn wer geht länger in Elternzeit? Der schlechter verdienende Part. Wer geht in Teilzeit? Der schlechter verdienende Part. Wer kommt so langsamer voran? Der schlechter verdienende Part. Und so geraten Frauen in eine finanzielle Falle, aus der man sich irgendwann nur noch schwer befreien kann.
Das Ehegattensplitting verschärft das „Luxus“-Problem
Als wäre es nicht schwer genug, die Entscheidung zu treffen, gleich viel zu arbeiten und den finanziellen Nachteil hinzunehmen, wenn aus privaten Gründen wie Kinder, Haushalt oder Pflege von Angehörigen die Stunden reduziert werden müssen, setzt der Staat noch einen drauf. Steuerbegünstigt werden Ehepartner, in denen der Besserverdienende mehr arbeitet. Hinzu kommen die Elterngeldregelungen. Auch da tut es finanziell weit weniger weh, wenn der schlechter verdienende und in Teilzeit arbeitende Part länger Elterngeld bezieht. Denn das Elterngeld wird für „Besserverdiener“ gekappt.
Man kann sich trotzdem für Gleichberechtigung entscheiden. Oder?
Natürlich kann man. Aber wie leicht fällt das, wenn man für Kinder verantwortlich ist, Miete zahlt, etwas fürs Alter zurücklegen will? Darf es sein, dass es im 21. Jahrhundert noch eine kostspielige Investition ist, wenn beide Partner 30 Stunden arbeiten anstatt einer 20 und der andere 40? Unter dem Strich sind es weiterhin 60 Stunden, doch dank Pay Gap und Ehegattensplitting habe ich schon erlebt, dass wir über ein monatliches Plus oder Minus im vierstelligen Bereich sprechen. Wenn es um Elterngeld geht, ist das sogar meist so. Da komme selbst ich als überzeugte Feministin an meine Grenzen, für die ausgewogene Variante zu plädieren…
Ihr seid nicht schuld daran!
Ich lerne eine Menge Frauen kennen, die sich fast schämen für ihre traditionelle Rollenverteilung. Er in Vollzeit, sie in Teilzeit, die Elternzeit wird nicht fifty-fifty aufgeteilt, sondern klassisch in zwölf Mama-Monate und zwei Papa-Monate. Es scheint, als würden die Frauen sich selbst die Schuld dafür geben, dass sie es sich nicht leisten, gleichberechtigt und gleich verantwortlich als Familie zu starten. Dabei ist es beinahe absurd, diese Verantwortung auf sich zu laden. Dass Gleichberechtigung fälschlicherweise als Luxus deklariert wird, ist vollkommen daneben. Wir leben in patriarchalischen Strukturen. Es ist eine Schande, dass Paaren, die so gerne Care-Arbeit und Berufstätigkeit gerecht aufteilen würden, so große Steine in den Weg gelegt werden.
Gebt euch nicht die Schuld! Das Problem seid nicht ihr, sondern die Struktur. Natürlich ist es absolut sinnvoll, sich alles an Gleichberechtigung zu leisten, was irgendwie leistbar ist. Aber allein dass ich diesen Satz so schreiben muss, grenzt an Wahnsinn.
Denn GLEICHBERECHTIGUNG IST KEIN LUXUS! Er wird von der Politik dazu gemacht. Und das ist einer aufgeklärten Gesellschaft in diesem Jahrhundert einfach nur unwürdig! Lasst uns nicht müde werden, das immer und immer wieder zu sagen, zu schreiben und zur Not auch zu schreien, so laut wie es uns nur möglich ist.
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Johanna Fröhlich Zapata
Johanna Fröhlich Zapata ist Mutter, Therapeutin, Medizinanthropologin und Co-Gründerin von Deutschlands erster Ausbildungsinstitution für Feministisches Coaching. Ihr Ziel ist es, Alltagsfeminismus als Prozess gesellschaftlichen Wandels mitzugestalten und Frauen und Männern gleichermaßen dabei zu unterstützen, einen lebenspraktischen Feminismus in ihrem Alltag zu etablieren.
Mit dem rbbKultur-Podcast «Die Alltagsfeministinnen» erreicht ihre Arbeit ein breites Publikum. In ihrer Privatpraxis bietet sie ein stark gebuchtes Coachingprogramm zum Thema an. Johanna Fröhlich Zapata lebt mit ihrer erweiterten Familie in großer Fürsorge-Gemeinschaft in Berlin.
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