Wozu brauche ich eine Bikini-Figur, wenn es Badeanzüge gibt? Das frage ich mich jeden Sommer. Und vor allem: Wer legt fest, wie so eine Bikinifigur auszusehen hat? Oder, um die Frage noch ein Stück weiterzuführen: Wer legt eigentlich fest, was Frauen anzuziehen haben?
Als im Frühjahr das neue Outfit der US-Leichtathletinnen für die kommenden Olympischen Spiele in Paris vorgestellt wurde, gab es einen Shitstorm. „Ich hoffe, der Sportverband zahlt fürs Bikini-Waxing”, „Mein Beileid an alle, die ihre Tage haben” oder „Sag mir, dass der Designer männlich war, ohne mir zu sagen, dass der Designer männlich war” – so lauteten einige der Kommentare unter einem Posting, in dem das Leichtathletik-Magazin @citiusmag die neue Wettkampfkleidung der US-Damen vorstellte.
Weiter kommentierten die Leser:innen: „Wenn Dir nach dem Design des Männer-Anzugs der Stoff ausgeht…”, „Wenn Deine Vulvalippen darum kämpfen, welche im Anzug sein darf.” Denn die Outfits der Sportlerinnen sind freizügiger denn je geraten. Eigentlich rennen, springen und werfen die US-Athletinnen nunmehr in knappen Bodies. Man könnte meinen, es handele sich um besonders funktionelle, weil aerodynamische Kleidungsstücke.
Die ehemalige US-Athletin Lauren Fleshman äußerte sich auf Instagram zum Anzug: „Profisportlerinnen sollten in der Lage sein, an Wettkämpfen teilzunehmen, ohne sich darüber Gedanken machen zu müssen, dass jedes verletzliche Teil ihres Körpers zur Schau gestellt wird. Wenn dieses Outfit wirklich die sportliche Leistung verbessern würde, würden Männer es tragen.” Doch das Wettkampf-Kit für die Herren sieht ganz anders aus: Die Männer können sich in mehr Stoff kleiden.
Die offiziellen US-Outfits der Frauen des Sportartikelherstellers Nike eine sexistische Fleischbeschau sondergleichen? Dabei haben zahlreiche Sportverbände Maßnahmen gegen die Sexualisierung von Athletinnen ergriffen. Doch „ausgerechnet der größte Sportartikelhersteller der Welt verdeutlicht vor den Olympischen Spielen in Paris, dass Sexismus im Sport immer noch ein Problem ist”, heißt es in einem Kommentar der NZZ. NIKE betont: Der vorgestellte Anzug sei nur eine Option von vielen. Die Athletinnen könnten andere Outfits auswählen, z.B. auch längere Shorts.
Knappe Kleidung und viel Spagat: Fragwürdige Kleiderordnungen im Profisport
Es gibt immer wieder Diskussionen um knappe Sportoutfits für Frauen.
Olympische Spiele 2021 in Tokio: Die deutschen Turnerinnen setzen ein Zeichen gegen Sexualisierung im Sport. Sie treten mit hautfarbenen Anzügen unter dem Turndress an, bzw. trugen Ganzkörperanzüge. So auch Rekord-Turnerin Elisabeth Seitz. Sie hatte zuvor unzählige Titel im sogenannten Leotard, dem knapp geschnittenen Wettkampf-Body mit hohem Beinausschnitt gewonnen. Seitz weiß aber, wie unangenehm es sich anfühlen kann, wenn Fotografen draufhalten.
Der Schweizerische Turnverband hat 2022 sogar Richtlinien für Fotografen eingeführt, um anzügliche Fotos zu verhindern. Eli Seitz ist es dennoch wichtig, ein Zeichen für Selbstbestimmung setzen. Schließlich geht es beim Turnen um Höchstleistungen und nicht um Fleischbeschau. „Wir wollen eben die Wahl haben, weil es uns wichtig ist, dass man nicht verpflichtet ist, einen bestimmten Anzug zu tragen, sondern das tragen kann, worauf man Lust hat”, betont Eli Seitz immer wieder.
Doch Turnen ist nicht der einzige Sport, in dem es Proteste gegen die gängigen Wettkampf-Outfits gab. Bei der Beachhandball EM 2021 boykottierte die norwegische Mannschaft die knappen Bikinihöschen und lief in Shorts auf. Dafür mussten die Spielerinnen je 150 Euro Strafe zahlen. Aus Solidarität zu den Athletinnen übernahm Popstar P!nk die Strafzahlungen. Inzwischen dürfen die Beachhandballerinnen zwar offiziell Shorts tragen – im Gegensatz zu den Männern aber explizit enge Shorts.
Beachvolleyballerinnen hingegen waren bis 2012 verpflichtet, einen Bikini oder einteiligen Badeanzug mit einer maximalen Seitenbreite von sieben Zentimetern zu tragen. Heute treten zwar viele Spielerinnen immer noch in knappen Outfits an – allerdings, weil sie es wollen und nicht, weil sie es müssen. Das ist ein feiner Unterschied. Es handelt sich schließlich mehr oder weniger um eine Arbeitsuniform. Kleidung, in der Höchstleistungen erbracht werden sollen. Doch vielleicht hindert sie die Kleidung gerade daran…
Fußball: Weiße Shorts wirken sich negativ auf Leistung aus
Die englische Fußballnationalmannschaft der Frauen gab 2023 bekannt, nicht mehr in weißen Hosen zu spielen. Der englische Fußballverband gab damals zwar keine offizielle Begründung ab, doch Stürmerin Beth Mead deutete mehrmals an, dass weiße Shorts an bestimmten Tagen des Monats einfach nicht praktisch seien.
Mehr noch: Wenn Frau Angst vor Blutflecken auf der Kleidung haben muss, kann sich das negativ auf die Leistung auswirken. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie (https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S2214804324000521) von Alex Krumer, Professor für Sportökonomie am University College im norwegischen Molde.
Krumer hat die Auswirkungen weißer Shorts auf die Leistung von männlichen und weiblichen Fußballer:innen verglichen. Dazu wurden WM- und EM-Fußballspiele zwischen 2002 und 2023 untersucht. Das Ergebnis: Die Sportlerinnen erzielten zwischen 0,32 und 0,37 weniger Punkte pro Spiel – während die Performance der männlichen Sportler unverändert blieb.
Laut Studienautor Krumer könnte eine Sensibilisierung für die Angst vor der Periode zu mehr Frauen im Sport führen und letztlich zu einer Verringerung anderer geschlechtsspezifischer Unterschiede. Sport sei ein wichtiges Instrument für die Gleichstellung der Geschlechter.
Fußbinden in China und Korsetts im Westen: Kleidervorschriften im Wandel der Zeit
Wenn Sport heute ein wichtiges Instrument zur Gleichstellung sein kann, so war die Kleidung von Frauen in der Geschichte der Menschheit schon immer ein Zeichen für die Unterdrückung – eine Machtdemonstration des Patriarchats.
Frauen wurden in vielen Kulturen jahrhundertelang durch Kleidungsvorschriften und Kleidungspraktiken unterdrückt oder bestraft. Ab dem 10. Jahrhundert bis ins frühe 20. Jahrhundert waren in China Fußbinden üblich: Mädchen im Alter von 4 bis 9 Jahren wurden die Füße eingebunden, um sie klein zu halten. Diese Praxis verursachte extreme Schmerzen und Deformitäten. Galt aber als Schönheitsideal und war ein Symbol für Weiblichkeit und gesellschaftlichen Status.
Im europäischen Mittelalter trugen Frauen lange Kleider mit hohen Gürteln und Kopfbedeckungen wie Schleier, um ihre Haare zu bedecken, was als Zeichen der Tugendhaftigkeit galt.
Während der Renaissance kleideten sich Frauen der höheren Gesellschaftsschichten oft in Korsetts, um die Taille extrem zu verengen und mithilfe von Reifröcken eine Sanduhrfigur zu schaffen. Mädchen bekamen bereits im Alter von 12 bis 14 Jahren ihre erste Schnürbrust. Teilweise wurden aber auch Kleinkinder schon in steife Mieder gesteckt. Dies führte oft zu gesundheitlichen Problemen wie Atembeschwerden und Ohnmacht, Verdauungsstörungen, dauerhaften Verformungen der Rippen und Verlust der Muskulatur.
Korsetts waren auch im strengen viktorianischen Zeitalter (1837-1901) gang und gäbe. Genau wie der Damensattel beim Reiten. Es wurde als unschicklich angesehen, dass Frauen in einem „Herrensitz” ritten, bei dem sie mit einem Bein auf jeder Seite des Pferdes saßen. In langen, mehrschichtigen Kleidern war es den Frauen dieser Epoche ohnehin nicht anders möglich als mit beiden Beinen auf einer Seite.
Darüber hinaus wurden im viktorianischen Zeitalter unverheiratete Mütter oft gezwungen, spezielle Kleidung zu tragen. Die schlichten Kleider waren häufig in Schwarz oder Grau gehalten, um Demut und Buße zu signalisieren. Sie sollten die „Schande” der „gefallenen Frauen” öffentlich sichtbar machen. Diese Praxis führte zu sozialer Isolation und Stigmatisierung.
Mitte des 19. Jahrhunderts begannen einige Frauen in den USA und Europa, Hosen zu tragen, um mehr Bewegungsfreiheit zu haben. Die Frauenrechtlerin Amelia Bloomer machte in den 1850er Jahren die „Bloomer-Hose” populär. Diese Hose wurde jedoch oft unter Röcken getragen und war gesellschaftlich nicht akzeptiert.
In den 1920er Jahren änderte sich die Mode in Europa und Nordamerika drastisch: Die „Flapper”-Kleider, die kürzer und weniger strukturiert waren, spiegelten eine neue Ära von Freiheit und Emanzipation wider.
Marlene Dietrich und der Hays Code
Schauspiel-Ikone Marlene Dietrich trug als wohl erste Frau im Showgeschäft „Männerbekleidung”. In Filmen wie „Morocco” (1930) trug Dietrich einen Smoking, was damals als skandalös galt, aber auch ikonisch wurde. „Die Öffentlichkeit ist immer über alles Neue entrüstet”, so Marlene Dietrich 1933 in einem Interview mit der Zeitschrift „Der Querschnitt“.
„Zuerst zeigte ich meine Beine, und die Öffentlichkeit war entrüstet, nun verstecke ich meine Beine, und das entrüstet sie auch. Ich betone nochmals, daß ich eine aufrichtige Vorliebe für Männerkleidung habe und sie nicht deswegen trage, um sensationell zu wirken. Ich finde nur, daß ich in Männerkleidern anziehend wirke. Außerdem gestattet einem diese Kleidung vollkommene Freiheit und Bequemlichkeit, was ich von Frauenkleidern und Röcken nicht behaupten kann.”
Einige Schauspielerinnen folgten der Rebellion und Emanzipation Marlene Dietrichs, kleideten sich ebenfalls selbstbewusst in Männermode – auch wenn Zeitungen immer wieder dagegen anschrieben. „Wir haben uns zwar schon an den Anblick sonntäglicher Touristinnen oder Wintersportlerinnen gewöhnt, wollen aber nicht darüber hinwegkommen, dass sich die Kurven gereifter Weiblichkeit keineswegs anmutsvoll in die Beschränktheit des dreiteiligen Herrenanzugs fügen”, hieß es 1933 in einem Artikel der New York Times. „Es sei denn, sie gehören Marlene Dietrich.”
Frauen in Hosen – das verstieß in der Filmbranche von damals auch gegen den sogenannten Hayes Code, offiziell bekannt als „Motion Picture Production Code”. Der Hays Code wurde 1930 eingeführt und ab 1934 streng durchgesetzt. Er legte fest, was in Filmen als moralisch akzeptabel galt und was nicht. Eine der Richtlinien war, dass Frauen keine Männerkleidung tragen sollten, um traditionelle Geschlechterrollen zu bewahren und „moralische Verwirrung” zu vermeiden.
Doch spätestens ab den ersten schweren Kriegsjahren 1941/42 wurden Hosen für Frauen anerkannt und sogar von der deutschen Regierung zur Verfügung gestellt. Während des Krieges gab es eine erhebliche Knappheit an Materialien, einschließlich Textilien. Hosen erforderten weniger Stoff und waren haltbarer als Röcke und Kleider. Die Nationalsozialisten propagierten darüber hinaus das Bild der „deutschen Frau”, die stark, gesund und arbeitsfähig in Hosen ihren Beitrag an der „Heimatfront” leistete. Das Tragen von Hosen war also auch Ausdruck dieser Ideologie.
Vielleicht kehrten nach dem Krieg deshalb viele Frauen zunächst wieder zu traditioneller Kleidung zurück. Erst in den 1960er machten Designer wie Yves Saint Laurent elegante Hosenanzüge für Frauen modern, bis in den 1970er Jahren wiederum Miniröcke populär wurden. Der Minirock erlaubte im Gegensatz zum knielangen Bleistiftrock mehr Bewegungsfreiheit und galt als ein Symbol für Jugendkultur und sexuelle Befreiung.
Als Erfinderin gilt die britische Modedesignerin Mary Quant. Die Idee kam ihr beim Ballettunterricht, als sie ein Mädchen in einem sehr kurzen Faltenrock und Steppschuhen sieht. Kurzerhand kürzt Quant ihre knielangen Röcke um zehn Zentimeter. „Ein kurzer Rock, in dem man sich frei bewegen kann, laufen und den Bus erwischen konnte”, sagt Quant „Aber, vor allem: in dem man tanzen konnte. Ich wusste: Das ist es!” Der Minirock ward geboren.
Heute besteht in westlichen Ländern weitgehend Freiheit bei der Kleiderwahl, während in einigen anderen Regionen weiterhin strenge Regeln gelten. Nach der islamischen Revolution wurden im Iran strenge Kleidervorschriften eingeführt. Frauen müssen Hijabs tragen und sich in der Öffentlichkeit verschleiern. Verstöße gegen diese Vorschriften können zu Verhaftungen, Geldstrafen und körperlichen Strafen führen.
In Saudi-Arabien mussten Frauen in der Öffentlichkeit lange Zeit Abayas, (einen schwarzen Umhang) und ein Kopftuch tragen. Erst im März 2018 verkündete der saudi-arabische Kronprinz Mohammed bin Salman, dass Frauen künftig nicht mehr dazu verpflichtet seien.
In Ländern wie Afghanistan unter den Taliban müssen Frauen Burkas oder Niqabs tragen, die ihren gesamten Körper und das Gesicht bedecken. Diese Kleidervorschriften werden oft durch Gesetze und soziale Normen erzwungen und können Freiheit und Autonomie der Frauen erheblich einschränken.
Diese Beispiele zeigen, wie Kleidung als Mittel der Unterdrückung und Kontrolle von Frauen eingesetzt wurde und wird.
Wie bei vielen anderen feministischen Themen geht es auch bei Kleidung um Wahlfreiheit der Frauen.
- Tragen Frauen Kleider und Röcke, weil sie müssen oder weil sie es wollen?
- Tragen Frauen knappe Turnoutfits, um als besonders sexy vermarktet werden zu können?
- Oder tun sie es, weil sie die Wahl haben und sich selbst bestimmt und frei fühlen können?
Wichtig ist zu schauen, wer oder was Kleiderordnungen festlegt – wer über uns Frauen bestimmt, wenn nicht wir selbst! In vielen Gesellschaften gibt es traditionelle Vorstellungen und kulturelle Normen darüber, was als angemessene Kleidung für Frauen gilt. Darüber hinaus hat die Modeindustrie, haben Designer, Modehäuser und Bekleidungshersteller einen erheblichen Einfluss.
Doch Athletinnen sollten Aufmerksamkeit für ihre sportlichen Leistungen bekommen und nicht einzig und allein wegen ihres Aussehens.
Jeder Mensch sollte anziehen können, was er will.
Eure Johanna
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Johanna Fröhlich Zapata
Johanna Fröhlich Zapata ist Mutter, Therapeutin, Medizinanthropologin und Co-Gründerin von Deutschlands erster Ausbildungsinstitution für Feministisches Coaching. Ihr Ziel ist es, Alltagsfeminismus als Prozess gesellschaftlichen Wandels mitzugestalten und Frauen und Männern gleichermaßen dabei zu unterstützen, einen lebenspraktischen Feminismus in ihrem Alltag zu etablieren.
Mit dem rbbKultur-Podcast «Die Alltagsfeministinnen» erreicht ihre Arbeit ein breites Publikum. In ihrer Privatpraxis bietet sie ein stark gebuchtes Coachingprogramm zum Thema an. Johanna Fröhlich Zapata lebt mit ihrer erweiterten Familie in großer Fürsorge-Gemeinschaft in Berlin.
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