Alle Jahre wieder, kommt die Vorweihnachtszeit und die Mutter läuft zur Höchstform auf: Schon im November müssen 24, 48, 72 tolle Ideen für die Adventskalender der Kinder her – am besten natürlich selbstgemacht, sinnvoll und nachhaltig.
Das Nikolausgeschenk nicht vergessen. Und bis zum 24. Dezember wollen die Familienangehörigen ordentliche Geschenkideen für die Kinder mitgeteilt bekommen. Während der Adventskalender geduldig die Tage bis zum großen Fest zählt, muss Mutter noch die Weihnachtsbäckerei in Gang bringen, mit den Kindern gefühlte 150.000 Mal Rolf Zuckowski hoch und runteranhören, die Wohnung für das “entspannte” Fest dekorieren und Weihnachtskarten für die liebe Verwandtschaft von Hand anfertigen… Wie kommt Frau eigentlich ohne Burnout durch die Feiertage?
Hauptverantwortlich für diese Zeit sind Mütter – die Projektleiterinnen des Privaten. Dieser sogenannte Care-Gap, also die unfaire Verteilung der Fürsorge Arbeit zwischen den Geschlechtern, ist – vom Einzelfall abgesehen – die Ursache aller anderen Gender Gaps. Aus diesem Grund werden Frauen seltener befördert, bekommen schlechteres Gehalt für gleiche Arbeit und haben es nach Babyjahr und Teilzeit viel schwerer, eine Karriere hinzulegen, die sie, auch im Alter, finanziell absichert.
Die Feminisierung von Altersarmut steigt. Und damit die Coronakrise diesen Punkt nicht weiter verschärft, ist es an der Zeit für einen Perpektivwechsel: Zeit ist die neue Währung. Und wenn Frauen ihre Zeit weiterhin unhinterfragt in unbezahlte Fürsorge-Arbeit stecken, dann steht langfristig nicht nur ihre finanzielle Unabhängigkeit, sondern bei steigender Doppel-, und Dreifachbelastung in Lockdown-Situationen, auch die mentale Gesundheit auf dem Spiel.
Die Pandemie hält den Finger in eine klaffende Wunde
Seit Corona ist die Lage für Frauen verrückter denn je. Als sei Kinderbetreuung einzig eine Frage physischer Präsenz, wurde einfach der Arbeitsplatz nach Hause verlagert. Einige wenige Paare haben es geschafft, die Situation als Chance zu begreifen und die Kinderbetreuungs-, und Arbeitszeiten so aufzuteilen, dass man von gleichberechtigter Elternschaft sprechen kann.
Doch in den meisten Familien sind es wieder die Mütter, die sich um die „wichtigen Termine” der Väter herumorganisieren und abends und am Wochenende vor dem Rechner sitzen. Sie sind am Ende doch wieder das sichere Netz, in das alle bequem fallen, wenn es hart auf hart kommt.
Seien wir ehrlich: Home Office mit Kindern war eine Legende. Jetzt gehen wir dem Jahreswechsel entgegen und die Wahrheit ist: Noch nie waren so viele Mütter am Rande ihrer Kräfte. Und bei genauerem Hinsehen: Schon vor der Pandemie gab es ein Missverhältnis. Es wurde in der Krise nur besonders deutlich!
Mama will kein „Zurück zur Normalität”
Zurück zur Normalität wäre ein „Advent, Advent – die Mutter rennt” wie wir es von jeher kennen. Die Frage ist, ob Mutter am Ende dieser Feiertage, nach den letzten Monaten der Anspannung, nicht auszubrennen droht. Das muss nicht sein!
Ist das Fest der Liebe nicht der beste Anlass, um uns zu fragen, wie wir diese Liebe in Zukunft innerhalb der Familie gegenseitig zum Ausdruck bringen können? Wie können wir gemeinsam die Feiertage und den Alltag so gestalten, dass die mentale und körperliche Gesundheit der gesamten Familie gewährleistet ist?
Dafür braucht es einen einfachen Mindshift: Der Partner „hilft” ab heute nicht mehr. Hilfe bedeutet, dass die Frau für das Familienleben hauptverantwortlich ist. Und genau das muss sich ändern. Statt zu helfen, braucht es einen Partner, der schlicht seine 50% der Familien-Aufgaben übernimmt! Wie das geht?
1. Aufgaben-Pakete schnüren und 50:50 untereinander aufteilen
Machen Sie es sich mit ihren Liebsten gemütlich, zünden Sie eine Kerze an und schreiben Sie in Ruhe auf, was Sie alles für das große Fest vorbereiten wollen. Lassen Sie kein To Do aus. Listen Sie jede Aufgabe bis ins kleinste Detail auf: Vom Bestücken der Adventskalender, über das Aussuchen der Rezepte für das Weihnachtsgebäck bis hin zur Besorgung aller Geschenke, Zutaten und Dekomaterialien – alles muss in die Liste aufgenommen werden.
Nun wird sich mit dem Partner nach Möglichkeit alles als komplettes Aufgabenpaket (mit all seinen Folgen) untereinander aufgeteilt. Ganze Aufgaben-Pakete aufzuteilen kann dann in den Alltag im neuen Jahr Einzug finden.
Ein gutes Thema für den Anfang sind die Brotboxen der Kinder. Auf den ersten Blick klingt „Brotdosen füllen“ ganz einfach. Aber da hängt ja dann auch mit dran, am Tag vorher zu checken ob überhaupt Brot da ist, die Vorlieben der Kinder und die Regeln der Schulen oder Kitas zu kennen. Alles Dinge, die Sie dann aus Ihrer Agenda streichen können. Ist wunderbar und reduziert das „an alles denken müssen” (die sogenannte Mental Load; hierzu empfehle ich das Buch von Patricia Cammarata „Raus aus der Mental Load Falle”)
2. Es braucht ein Dorf…
Es braucht ein Dorf, um ein Kind zu erziehen, heißt es so schön. Ich denke mit meinen Klientinnen gern an alternative Formen „traditionellen” Zusammenlebens, weil gerade in der Kleinfamilie die Mental-Load-Falle besonders schnell zuschnappt.
Ich glaube, es braucht auch ein Dorf, um einem Kind ein Weihnachtsfest zu bereiten. Wenn man auch den Adventskalender und das Nikolausgeschenk bescheiden hält, kommt spätestens bei der Anfrage aus der Kita, das Weihnachtsbuffet in Absprache mit den anderen Eltern zu bestücken, jede noch so minimalistische Mutter ins Schwitzen.
Warum nicht mal das Nikolausgeschenk und den Adventskalender an kinderlose Freund:innen oder Großeltern outsourcen. Sagen Sie den Verantwortlichen, dass sie gerne selbstbestimmt über alles entscheiden dürfen.
3. Minimaler Aufwand für maximalen Zauber: Eigene Rituale erfinden
Wie wäre es, dieses Jahr die fertigen Adventskalender zu kaufen, das Adventsgebäck beim Bäcker zu holen und Rotkohl aus dem Glas zu essen? Nur weil etwas „immer so war”, heißt es nicht, dass es so bleiben muss! Entwickeln Sie eigene Rituale, die Ihren Werten entsprechen. Nach diesem Jahr fällt die Konzentration aufs Wesentlich vielleicht einfacher als sonst, oder?
Gemeinsam spielen, eine Kerze anzünden, Musik hören und ein eigenes Ritual erfinden. Rituale helfen auch bei der festlichen Aufgabenteilung: Je genauer die Familie weiß, was wann passiert und wer welche Aufgabe übernimmt, desto weniger muss erinnert, geschimpft und verlangt werden. Klare Strukturen, die sich dann immer wiederholen, gehen schnell in Fleisch und Blut über, auch wenn die konsequenten Ansagen am Anfang etwas anstrengend sind. Es lohnt sich aber, denn Strukturen sind der beste Weg, um aus der Mama-meckert-immer-nur-Rolle zu finden.
4. Zeit, statt Zeug!
Nehmen Sie sich Zeit für sich in all dem Wir. Seien wir ehrlich – die Ansage „Ich bin jetzt mal raus“ klappt in den meisten Familien nur bedingt. Gerade Mütter, die einen Großteil der Care-Aufgaben übernehmen, können sich nur schwer aus der Verantwortung stehlen. Spätestens wenn das Kind fällt und eine Beule verarztet werden muss, kommt Mama aus der Badewanne gehüpft und ist wieder zur Stelle.
Was hilft: Das Schiff mal kurz verlassen und raus gehen, auch wenn die Besatzung die Captain nur ungern gehen lässt. Das Handy kann getrost mal zu Hause bleiben. Ohne ständige WhatsApp-Nachrichten kommt man viel entspannter durch die Auszeit und übersieht vielleicht einfach auch mal das ein oder andere To Do, das sich bis zum Abend schon in Luft aufgelöst hat. It´s magic!
Ich persönlich liebe Rituale. Ich habe in meiner katholischen Kindheit zur Adventszeit die heiligen drei Könige jeden Tag ein paar Millimeter Richtung Krippe geschoben. Ab dem 1.12. sind meine Zwillingsschwester und ich morgens zur Krippe gestürmt; an den Tagen vor dem 6. Januar mussten wir zusehen, dass die drei Könige nicht übermütig würden, und zu früh im Stall aufkreuzten. Das war der Adventskalender meiner Kindheit; Training für eines meiner liebsten Gefühle: die Vorfreude. Heimeligkeit bei Stressarmut garantiert.
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Johanna Fröhlich Zapata
Johanna Fröhlich Zapata ist Mutter, Therapeutin, Medizinanthropologin und Co-Gründerin von Deutschlands erster Ausbildungsinstitution für Feministisches Coaching. Ihr Ziel ist es, Alltagsfeminismus als Prozess gesellschaftlichen Wandels mitzugestalten und Frauen und Männern gleichermaßen dabei zu unterstützen, einen lebenspraktischen Feminismus in ihrem Alltag zu etablieren.
Mit dem rbbKultur-Podcast «Die Alltagsfeministinnen» erreicht ihre Arbeit ein breites Publikum. In ihrer Privatpraxis bietet sie ein stark gebuchtes Coachingprogramm zum Thema an. Johanna Fröhlich Zapata lebt mit ihrer erweiterten Familie in großer Fürsorge-Gemeinschaft in Berlin.
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