Der Sex war super, leiderschaftlich, zärtlich, heiß. Dann kam das erste Kind. Ein nicht zu vergleichendes Erlebnis, eine Aufregung, die einem in den ersten Wochen nicht an Sex denken lässt. Dann irgendwann nachdem der Zauber und die Überforderung der ersten Wochen abebben, stellen wir uns die Frage, leise, und nur uns selbst: Wann hatten wir eigentlich das letzte mal Sex? Dann vergehen wieder Tage und Woche, vielleicht Monate und eine weiss selbst nicht genau, wie es sein kann, dass die Zeit so rast, und die Frage kommt wieder. Dazu gesellt sich bald auch ein schlechtes Gewissen, ein Schuldgefühl. Und dann ist es da, das Problem, das keine*r haben wollte: Es läuft nicht mehr im Bett! Aus heißen Nächten ist stummes, quälendes Schweigen geworden. Aus lauter Kümmern entsteht Kummer um die fehlende Intimität und Körperlichkeit in der Paarbeziehung. Sex bzw. kein Sex in der Elternschaft ist ein Tabu-Thema – und wenn es besprochen wird, wird es meistens als rein individuelles Problem dargestellt. So, als sei es eine einfache Entscheidung, die Eltern- vor allem Mütter – einfach anders treffen sollten. Schlaft miteinander, trotz Müdigkeit und fehlender Libido, sonst kommt euch der Sex für immer abhanden, so lautet der Tenor der Ratschläge. So einfach ist es nicht, und das wissen und erleben viele Eltern. Sie fühlen sich allein mit ihrer „Lustlosigkeit“, besonders Mütter empfinden Scham oder Schuld. Dabei ist es nicht die persönliche Unfähigkeit oder bloße Entscheidung, die dazu führt, dass es im Bett nicht (mehr) läuft. Vielmehr bündeln sich hier gesellschaftliche, genauer patriarchale Mechanismen, die dafür sorgen, dass Sex plötzlich ein Problem-Thema in der Paarbeziehung wird. Die Veränderung der Sexualität ist das Ergebnis des Patriarchats, dass unsere Vorstellungen und Erfahrungen rund um Sexualität, Körper und Fürsorge prägen.
Mental Load und Financial Load: Der doppelte Druck
Ein zentraler Faktor, der die Lust in der Elternschaft stark beeinflusst, ist der sogenannte Mental Load – die unsichtbare, aber stets präsente mentale Arbeit, die das Organisieren und Planen des Familienalltags umfasst. Gerade Frauen übernehmen oft die Hauptlast des Mental Load und tragen die Verantwortung für die vielen kleinen und großen Dinge, die im Familienleben zu tun sind. Neben der Fürsorge für die Kleinen, die immernoch mehrheitlich bei den Frauen liegt, stemmen sie häufig die Mental Load.
Hinzu kommt der Financial Load, der sich nun vergrößert hat, denn: Care- Arbeit ist unbezahlt. Das Paar hat seit der Elternschaft weniger Geld als vorher – obwohl ein Mensch mehr versorgt werden will. Denn nun muss Care Arbeit für das Kind geleistet werden. Diese ist nicht bezahlt! Das Gehalt der Person in Elternzeit reduziert sich um 35 %. Dadurch wird die finanzielle Belastung durch die Geburt eines Kindes zwangsläufig höher. Sie betrifft nicht nur den Lebensstandard der Familie, sondern auch die Existenzsicherung. Die neue mentale und finanzielle Verantwortung belastet beide Eltern. Für Lust und Sexualität bleibt wenig Zeit und Energie.
Retraditionalisierung: Die Rückkehr alter Rollenbilder
Die strukturellen Belastungen führen oft zu einer schleichenden Retraditionalisierung. Während in vielen Partnerschaften vor der Geburt eine Gleichverteilung von Aufgaben das Ziel war, fallen nach der Geburt des Kindes viele Paare in traditionelle Muster zurück. Frauen übernehmen oft die Hauptverantwortung für die Kinderbetreuung und den Haushalt, während Männer verstärkt die Rolle des “Familienernährers” übernehmen. Dies führt zu neuen Themen in der Beziehung: Wessen Arbeit wird bezahlt und somit wertgeschätzt? Wie wird das Geld, was nun vor allem von einer Person verdient wird, verteilt? Wer hat direkten Zugang dazu? Wer macht mehr? Ist es fair? Es gibt neue Konflikte und Spannungen in der Beziehung, die sich direkt auf die Intimität auswirken.
Das Machtgefälle killt die Lust der Frau
Durch die Retraditionalisierung entsteht oft ein Machtgefälle, welches das sexuelle Begehren in der Partnerschaft beeinflussen kann. Die Person, die weniger finanzielle Verantwortung trägt- häufig die Mutter- befindet sich in einer finanziellen Abhängigkeit. Eine Situation, die auch das Selbstbewusstsein und das Gefühl der Autonomie negativ beeinflusst – und, wie Studien belegen: Auch die Lust auf Sex. Finanzielle Abhängigkeit erzeugt häufig ein Gefühl der Machtlosigkeit. Frauen finden sich in einer Rolle der „Schuldigkeit“ wieder, gleichzeitig werden sie in die Rolle der Fürsorge gedrängt. Ihr Bedürfnis nach Intimität, körperlicher Nähe und Sex nimmt ab. Besonders in heterosexuellen Partnerschaften führt die Vorstellung, dass Frauen die Hauptlast der Fürsorge übernehmen, zu einem Ungleichgewicht, das das erotische Verlangen reduziert. Denn – in einer (nicht abusive Beziehung) entscheidet sie (oft unbewusst) “Nein! Meinen Körper kriegst du nicht!”
Das Tabu mangelnder Sexualität und das Ideal der unantastbaren Kernfamilie
Dass über diese strukturellen Gründe für das fehlende sexuelle Begehren kaum gesprochen wird, zeigt, wie stark das Ideal der Kernfamilie in unserer Gesellschaft verankert ist. Eltern sollen nach außen hin ein harmonisches Bild abgeben, in dem die Partnerschaft nicht nur stabil, sondern auch „intakt“ und sexuell erfüllend bleibt. Diese Erwartungen sind ein Symptom des patriarchalen Systems, das Frauen und Männer in feste Rollen drängt und wenig Raum für individuelle Bedürfnisse oder Veränderungen lässt. Es verhindert, dass Eltern über ihre wahren Bedürfnisse und Herausforderungen sprechen. Es führt dazu, dass die Sexlosigkeit als persönliches Scheitern empfunden wird.
Perspektivwechsel: Von „ihm zuliebe“ zu „was bringt es mir?“
Sexlosigkeit in der Elternschaft ist kein individuelles Versagen. Die strukturellen Erwartungen an Eltern, insbesondere an Mütter, führen zu körperlicher, mentaler und emotionaler Überlastung.
Einen echten Ausweg aus dieser Lustlosigkeit zu finden, beginnt mit einem radikalen Perspektivwechsel. Die Frage, die sich viele Mütter stellen, lautet oft: „Muss ich Sex haben, ihm zuliebe?“ Das Ziel ist jedoch, diese Denkweise aufzulösen und zu einem neuen, stärkende, feministischen Ansatz zu finden: „Was bringt mir Sexualität? Was macht es für mich schön? Was will und brauche ich?“
Mein Alltagsfeminismustipp – Unlearn unsexy Patriarchy
Mein Alltags-Feminismus Tipp ist: Überleg Dir Aspekte, die Du an Sexualität magst – unabhängig von Partner*in und fern von der Sorge, „etwas tun zu müssen“. Was sind Deine Wünsche und Bedürfnisse, das soll im Mittelpunkt stehen!
Frag Dich: Was mag ich an körperlicher Nähe? Was hat mir früher daran gefallen, Sex zu haben? Nicht: Bin ich bereit? Sondern: Unter welchen Umständen kann und will ich mir Intimität und Zärtlichkeit vorstellen? Was brauche ich dafür ganz konkret? Ein aufgeräumtes Zimmer? Ein Frühstück am Bett? Einen Putzplan? Einen Abend in der Woche ganz für mich …
Patriarchale Strukturen machen uns oft glauben, dass es eine klare Rollenerwartung gibt, wie wir als Eltern – besonders als Mütter – zu sein haben. Dieser Druck verlagert den Fokus von den eigenen Bedürfnissen weg und rückt den Blick und die Bedürfnisse hin zu den anderen. Aber um eine lustvolle Sexualität zu leben, auch in der Elternschaft, müssen wir lernen über unsere Sexloskeit zu sprechen, und darüber, was das Patriarchat damit zu tun hat! Studien zeigen, dass Machtgefälle in Beziehungen das sexuelle Verlangen häufig reduzieren, während eine gleichberechtigte Aufteilung von Verantwortung und Macht das Begehren stärken kann.
Kein Sex nach dem ersten Kind zu haben, ist, wenn es eigentlich anders gewünscht und als Problem erlebt wird, ein Symptom für einen Systemfehler. Ein System, das Frauen in Rollen zwängt, in denen sie erschöpft und überfordert werden. Deshalb: mehr feminismus für mehr sexy times!
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Johanna Fröhlich Zapata
Johanna Fröhlich Zapata ist Mutter, Therapeutin, Medizinanthropologin und Co-Gründerin von Deutschlands erster Ausbildungsinstitution für Feministisches Coaching. Ihr Ziel ist es, Alltagsfeminismus als Prozess gesellschaftlichen Wandels mitzugestalten und Frauen und Männern gleichermaßen dabei zu unterstützen, einen lebenspraktischen Feminismus in ihrem Alltag zu etablieren.
Mit dem rbbKultur-Podcast «Die Alltagsfeministinnen» erreicht ihre Arbeit ein breites Publikum. In ihrer Privatpraxis bietet sie ein stark gebuchtes Coachingprogramm zum Thema an. Johanna Fröhlich Zapata lebt mit ihrer erweiterten Familie in großer Fürsorge-Gemeinschaft in Berlin.
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