Wir leben in einer patriarchalen, ungleichen Gesellschaft, in der die heterosexuelle Frau viel zu oft als Anhängsel eines Mannes gesehen wird. Das zeigen Beispiele aus meiner Coaching Praxis.
Meine Klientin Susanne hat sich nach über 20 Jahren Ehe von ihrem Mann getrennt und suchte auf Dating Plattformen wie „Tinder“ nach einem Lebensmodell, das wirklich zu ihr passt. Sie fragte sich:
Hier nachzuhören in meinem Podcast “Die Alltagsfeministinnen”.
Meine Klientin Sarah wiederum suchte einen Partner, der ihre Vorstellung von einer gleichberechtigten Beziehung teilt. Sie fragte sich, wo findet frau den? Und ist das nicht unromantisch, einen Mann gleich beim ersten Date einem Feminismus-Test zu unterziehen?
Diese Beispiele aus meiner Praxis zeigen: Frauen sind heute viel freier in der Partnerwahl als noch in grauer Vorzeit. In diesem Artikel erfährst Du, was Kochgeschirr und Biologie mit der Partnerwahl zu tun haben und warum wir uns von der Idealisierung der Paarbeziehung lösen sollten.
Single-Shaming
Die Gesellschaft hält am Ideal der Paarbeziehung fest. Filmfiguren wie Bridget Jones aus “Schokolade zum Frühstück” oder Cary Bradshaw aus “Sex and the city” scheinen ihr ganzes Leben auf die Suche des richtigen Partners auszurichten. Schließlich sind der Mindestbestellwert beim Pizza-Lieferdienst oder extra große Familien-Cornflakes-Packungen für Solo-Menschen schon diskriminierend.
Vielleicht hast Du als alleinstehende Person schon mal Sprüche gehört, wie “dass Du noch/schon wieder Single bist…und das in Deinem Alter”. Oder: “Du findest schon noch jemanden”. Oder: “Vielleicht bist Du zu wählerisch!?”
Menschen mit Menstruationshintergrund werden dann on top gerne auch noch mit der K-Frage konfrontiert: “Was ist eigentlich mit Kindern?” Das ist Single-Shaming auf ganz vielen Ebenen. Es wird davon ausgegangen, dass eine Frau allein nicht genug, nicht glücklich, nicht zufrieden ist und keine Ansprüche stellen darf. Es wird davon ausgegangen, dass jede Frau einmal Mutter werden muss. Sonst stimme etwas nicht.
Gunda Windmüller, Autorin des Buchs „Weiblich, ledig, glücklich – sucht nicht. Eine Streitschrift“ sagt, „Singles bekommen so viel Mitleid, dass sie sich früher oder später selbst leid tun“.
Beim Phänomen des Single-Shaming gibt es übrigens deutliche Unterschiede in der Darstellung von Männern und Frauen. Während der Single Mann ein Lebemann ist oder ein fröhlicher Junggeselle, gibt es für alleinstehende Frauen negativ konnotierte Begriffe wie “alte Jungfer”. Eine kinderfreie Frau mit zwei Katern ist im besten Falle eine „verrückte Katzenlady“. Das alles schürt bei vielen Frauen, die nicht in einer Beziehung leben das Gefühl, irgendwie nicht richtig oder unvollständig zu sein.
Und das ist ein Riesengeschäft. Der Dating-Markt boomt. 2021 waren bei deutschen Dating Plattformen und Singlebörsen 5,5 Millionen Menschen registriert. Der Online-Umsatz von Dating-Services in Deutschland betrug im Jahr 2021 200 Millionen Euro. Doch zu glauben, dass zu jedem Topf ein Deckel gehört, ist falsch. Zumindest, biologisch gesehen.
Female Choice
Das Sprichwort mit dem Kochgeschirr soll verbildlichen, dass es für jeden Mann eine Partnerin und für jede Frau einen Partner gibt. Aber das ist nicht so, sagt Biologin Meike Stoverock. Sie hat das Buch “Female Choice – Vom Anfang und Ende der männlichen Zivilisation” geschrieben und sagt: Manche gehen bei der Suche leer aus. Und wer das ist, entscheiden in der Natur die Weibchen!
In der Natur kontrollieren Weibchen den Zugang zu Sex. Weibchen wählen nur ganz bestimmte Männchen aus, die Mehrheit kommt nie zum Zug.
Female Choice ist ein Fachterminus aus der Biologie, der die Fortpflanzungsstrategie der meisten Lebewesen beschreibt. Nur starke, geschickte, gesunde Männchen mit den besten Überlebenschancen können ihre Gene weitergeben. Das macht eine Spezies widerstandsfähig. So funktioniert Evolution. Da Weibchen nur eine begrenzte Anzahl an Eizellen haben, wurden sie im Laufe der Evolution immer wählerischer.
Für die Männchen ist die Fortpflanzung nach dem Geschlechtsverkehr erledigt. Damit ist die Arbeit, aber auch das Risiko, eine unpassende Partnerin gewählt zu haben, geringer. Sie können ihr Leben lang unzählige Samenzellen produzieren und sich quasi unbegrenzt fortpflanzen.
Weibchen müssen mehr Arbeit in die Fortpflanzung investieren, als Männchen. Nach der Befruchtung muss der Körper der Mutter einen hohen Energieaufwand betreiben, um den Nachwuchs zur Welt zu bringen. Wenn ein Weibchen für die Paarung ein unpassendes Männchen wählt und der Nachwuchs am Ende nicht überlebensfähig ist, war alles umsonst.
Die wählerische Frau und der Mann, der wahllos alles begattet – klingt nach Klischee, aber das Female-Choice-Prinzip galt laut Biologin Meike Stoverock lange auch für die menschliche Spezies. Bevor die Menschen sesshaft wurden, haben sich Frauen nach jedem Kind einen neuen Partner gesucht. Durch die Etablierung von Ackerbau und Viehzucht waren Frauen während Schwangerschaft und Stilltätigkeit nicht mehr im selben Maße wie Männer in der Lage, sich selbst zu ernähren. Die Verbindung zu einem Mann wurde zur einzigen Möglichkeit, das Überleben zu sichern. So ist auch das gesellschaftliche Ideal der lebenslangen, monogamen Beziehung entstanden, an das wir uns heute nur allzu gerne noch klammern.
Das “Sie-lebten-glücklich-bis-an-ihr-Lebensende”-Märchen
In den meisten westlichen Gesellschaften ist die Monogamie die vorherrschende Beziehungsform. Wörtlich übersetzt bedeutet Monogamie, dass es für jeden Menschen nur eine (mono) Ehe (gamos) gibt. Doch die Erzählung von “Sie-lebten-glücklich-bis-an-ihr-Lebensende” ist oft nur ein Märchen. Nicht umsonst wurde die Scheidung erfunden. Wenn in einer Beziehung Probleme auftreten, ist das nicht individuelles Scheitern, sondern eher die Regel, wie ein Blick auf die Scheidungszahlen zeigt. Im Jahr 2022 wurden in Deutschland 390.700 Ehen geschlossen, aber auch 137.400 geschieden. Das entspricht rund einem Drittel.
Scheidungen sind also eher Regel als Ausnahme und vielleicht auch wieder ein Stück weit Biologie. In der Tierwelt ist lebenslange Monogamie nämlich die absolute Ausnahme. Dort steht, wie erwähnt, die Fortpflanzung im Vordergrund. Polygamie ist die Regel. (Fun Fact: Seepferdchen gehen zwar lebenslange Verbindungen ein, aber die Männchen tragen die Eier 🙂
Das Comeback der Wahlfreiheit
Heute sind Frauen frei(er) und immer weniger abhängig von Männern. Das macht sie auch frei(er) bei der Wahl ihrer Beziehungs- und Sexpartner. Dass Frauen hohe Ansprüche haben, sei kein Klischee, sondern Biologie. Auch dass viele Männer bei Frauen einfach nicht landen. Welcher und wie viel Sex stattfinde, bestimme meistens die Frau, meint Meike Stoverock. Sie beobachtet, je freier Frauen bei der Partnerwahl werden, desto mehr Männer bleiben allein: “Eine Frau, die unbedingt Sex haben möchte, findet einen Partner dafür, egal wie alt sie ist, egal wie sie aussieht. Kann sein, dass sie nicht den Mann bekommt, den sie gerne hätte, aber wenn es ihr einfach nur darum geht, mit irgendjemandem ihren Trieb zu befriedigen, dann wird ihr das gelingen. Bei Männern ist das nicht so.”
Die Biologie bringt also die veralteten, männlich geprägten Geschlechterverhältnisse ins Wanken. Und wenn nicht die Natur, dann ist es der Feminismus! Im Feminismus geht es um die Gleichberechtigung aller Geschlechter. Und Gleichberechtigung bedeutet auch Wahlfreiheit für alle:
- Frauen sollen Partnerschaften eingehen, weil sie es wollen, nicht weil sie es müssen.
- Frauen dürfen nicht aus finanzieller Abhängigkeit in einer ungesunden Partnerschaft oder Ehe verharren müssen!
- Oder wegen des gesellschaftlichen Ideals einer lebenslangen Liebesbeziehung.
- Oder aus dem Irrglauben heraus, dass sie zu alt sind für eine neue Beziehung.
- Oder dass ein einmal gefundener Deckel nicht wieder ausgetauscht werden darf.
Die romantische Liebe ist ein so mächtiges Ideal, dass viele Frauen eher an sich selbst zweifeln, als an ihrer Beziehung. Gefährlich wird es, wenn ein Mann gewalttätig wird, wie bei meiner Klientinnen Christina. (Wie du die Warnsignale einer toxischen Partnerschaft erkennst, hörst du in der Podcast-Folge mit Christina.)
Allein ist nicht gleich einsam
Braucht eine Frau einen Deckel? Braucht eine Frau einen Mann, um glücklich zu sein? Nein. Manchmal will eine Frau auch eine Frau. Oder aber: allein sein! Als Langzeitsingle hat sich die Journalistin und Autorin Katja Kullmann viele Gedanken darüber gemacht. Sie ist Anfang 50 und lebt und regelt ihr Leben allein. Und das durchaus gerne. Sie räumt mit der Stigmatisierung auf, „keinen abgekriegt“ zu haben. Das fängt schon beim Wording an.
Niemand will besagte “alte Junger” sein, oder die “Katzenlady”, das „späte Mädchen“ oder gar eine “frigide Fregatte”. Auch „Frau ohne Begleitung“, „Single-in“ oder „alleinstehende Frau“ klingen wenig eigenständig. Katja Kullmann ist schließlich auf „Die singuläre Frau“ gekommen.
Denn all die anderen Begriffe entstammen einer Gesellschaft, die Hetero-Beziehungen zur „Norm“ erklärt. Und im Extremfall – siehe popkulturelle Beispiele wie Carry oder Bridget – zum einzigen Lebensinhalt einer Frau.
“Die Frau ohne Mann, so scheint es, ist wie ein freies Radikal, das die ‘natürliche’ Ordnung stört, und muss deshalb eliminiert, sprich: durch einen Partner neutralisiert werden”, heißt es in einem Artikel über Kullmanns Buch.
Mit der singulären Frau meint die Journalistin eine Frau ohne Zweierliebesbeziehung. Eine Solistin, die ohne Begleitung durchs Leben geht und wunderbar zurechtkommt.
Als Pflanzenliebhaberin muss ich dabei sofort an Solitärpflanzen denken. In der Gartenkunst sind das all jene Pflanzen, die als einzelnes Exemplar einer Bepflanzung einen besonderen Hingucker bescheren. Auf Wikipedia heißt es, “Frei stehende Solitärpflanzen kommen besonders gut zur Geltung.”
Ist das jetzt ein Plädoyer gegen Beziehungen? Nein. Es ist ein Plädoyer für alle Frauen, die alleine bleiben wollen. Und allein ist nicht gleich einsam. Die Sehnsucht nach Liebe und Bindung ist ein psychologisches Grundbedürfnis. Enge Bindungen können wir zu mehreren Menschen haben, zu Familienmitgliedern und Freund:innen. Für Liebe braucht es weder monogame, noch heteronormative Paarbeziehungen. Es ist nahezu unmöglich, dass ein einziger Mensch all unsere Bedürfnisse nach Nähe und Zuwendung zu 100 Prozent erfüllt.
Wir sollten uns also immer wieder vor Augen führen, warum wir dem Ideal einer Partnerschaft hinterherjagen und hinterfragen, ob der Wunsch von uns oder von außen kommt. Wir sollten uns darüber bewusst werden, dass wir frei entscheiden können, mit welchem Menschen wir welches Beziehungsmodell eingehen.
Und ja, man kann an einer Beziehung arbeiten, wenn es mal nicht so läuft – aber man darf sich auch eingestehen, wenn man einfach keine Lust mehr auf den Menschen an seiner Seite hat. Oder aber wenn man sowieso lieber als Solitär im Garten des Lebens blüht. Wofür auch immer Du Dich entscheidest: Ich unterstütze und begleite Dich auf Deinem Weg zu einer selbstbestimmten, unabhängigen Frau.
Alltagsfeministische Grüße,
Deine Johanna
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Johanna Fröhlich Zapata
Johanna Fröhlich Zapata ist Mutter, Therapeutin, Medizinanthropologin und Co-Gründerin von Deutschlands erster Ausbildungsinstitution für Feministisches Coaching. Ihr Ziel ist es, Alltagsfeminismus als Prozess gesellschaftlichen Wandels mitzugestalten und Frauen und Männern gleichermaßen dabei zu unterstützen, einen lebenspraktischen Feminismus in ihrem Alltag zu etablieren.
Mit dem rbbKultur-Podcast «Die Alltagsfeministinnen» erreicht ihre Arbeit ein breites Publikum. In ihrer Privatpraxis bietet sie ein stark gebuchtes Coachingprogramm zum Thema an. Johanna Fröhlich Zapata lebt mit ihrer erweiterten Familie in großer Fürsorge-Gemeinschaft in Berlin.
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