Vielleicht fragst Du Dich, was zur Hölle Dich Feminismus überhaupt angeht. Ich sage: Feminismus geht uns alle an und ist nicht nur eine Sache der Frauen. Feminismus bedeutet Chancengerechtigkeit. Wir alle profitieren davon. Feminismus hat Einfluss auf unser Zusammenleben und damit auf die gesamte Gesellschaft. Jeden Tag! Das ist Alltagsfeminismus. Wie heißt es so schön: Das Private ist politisch und das Politische ist privat.
Aber was heißt das eigentlich?
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Die erste Welle des Feminismus: Wählen und studieren
Um zu verstehen, was “Das Private ist politisch” bedeutet, werfen wir einen Blick zurück in die Geschichte des Feminismus. Seit 1919 dürfen Frauen in Deutschland wählen. 100 Jahre später wurde der Internationale Frauentag in Berlin gesetzlicher Feiertag. Doch tatsächliche Gleichberechtigung haben wir noch nicht erreicht. Warum eigentlich nicht?
Der ersten Feminismus-Welle Anfang des 20. Jahrhunderts haben wir es zu verdanken, dass Frauen studieren und wählen dürfen. Zu dieser Zeit wird aber noch wenig hinterfragt, warum zuhause nach wie vor nur die Frauen Kindererziehung und Haushalt stemmen. Frauen sind am Herd und Männer an der Macht. Denn die Männer haben das Geld. Erst ab 1958 sind Frauen berechtigt, ein eigenes Konto zu eröffnen und damit über ihr eigenes Geld zu bestimmen.
Welle Nummer zwei: Arbeitende Frauen und §218
Der geflügelte Satz “Das Private ist politisch” stammt aus den 1970er Jahren. Tradierte Rollenbilder werden damals zunehmend infrage gestellt. Immer mehr Frauen fragen sich, ob es wirklich so erfüllend ist, sich überwiegend um Kinder und Haushalt zu kümmern. Zumal das keine individuelle Entscheidungsmöglichkeit darstellte. Die herrschende Gesellschaftsordnung sah es damals vor, dass eine Mutter maximal Teilzeit arbeitet und sich sonst der Familie zu widmen hat. Eine Folge der vorherrschenden Machtstrukturen – die Gesetze machten schließlich mehrheitlich Männer.
Lange Zeit brauchten Frauen sogar noch die Zustimmung des Ehemanns, wenn sie einen Arbeitsvertrag unterschreiben wollten. Erst 1977 wurde das bestehende Gesetz geändert. Das vermeintlich Private wurde also politisch. Durch Gesetze. Und andersherum gilt das genauso. Es besteht eine Wechselwirkung. Gesetze schaffen persönliche Wirklichkeiten.
Doch Teilzeit ist für Mütter noch heute eine Falle. Als meine Klientin Franzi nach der Elternzeit zurück in den Job kommt, fühlt sie sich ständig gehetzt. Der Traum von Vereinbarkeit ist in der Realität Stress pur. Sie fragt sich in meinem Podcast “Die Alltagsfeministinnen”: Wie viel kann und will ich als Mutter arbeiten?
Am Arbeitsplatz erleben Frauen oft Nachteile nach der Geburt eines Kindes. Das beschreibt auch der Begriff Motherhood Penalty (deutsch: Mutterschaftsstrafe). Das Gehalt von Frauen – und nur von Frauen – sinkt in Deutschland nach dem ersten Kind enorm, wie eine Studie (PDF) zeigt.
Im Schnitt sind es 60 Prozent weniger Geld! Denn viele Frauen können oder wollen nach der Geburt eines Kindes nicht Vollzeit arbeiten und werden deshalb beispielsweise bei Beförderungen oft übergangen.
Mehr dazu auch in der Podcastfolge “Leben oder Lebenslauf? – Als Mutter auf Jobsuche”. Magdalena will nach der Geburt ihrer beiden Kinder einen neuen Job. Bei der Stellensuche stellt sie aber fest: Verantwortung UND Teilzeit? Fehlanzeige!
Ein weiterer politischer Diskurs, der unmittelbar Einfluss auf das private Leben von Frauen hat, ist der Streit um Abtreibungs-Paragraph §218. Ein Schwangerschaftsabbruch ist in Deutschland gemäß § 218 Strafgesetzbuch (StGB) grundsätzlich für alle Beteiligten strafbar. Wer eine Schwangerschaft abbricht, wird – werden nicht bestimmte Auflagen erfüllt – mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder mit einer Geldstrafe belegt.
Bereits Anfang der 1970er Jahre wurde der Abtreibungs-Paragraph §218 prominent diskutiert. Frauen waren damals nicht länger gewillt, eine Abtreibung als ihre individuelle Misere hinzunehmen. Sie wollten nicht länger zu illegalen Schwangerschaftsabbrüchen gezwungen sein und damit ihr Leben aufs Spiel setzen. Das Politische ist privat. Es hat Einfluss auf unser persönliches Leben, Erleben und sogar auf unser Überleben. Deshalb begannen die Frauen in den 1970ern gegen den Gebärzwang, eine der Hauptstützen der frauenspezifischen Unterdrückung, auf die Straße zu gehen.
Was der §218 heute für eine unfreiwillig schwangere Frau bedeutet, zeigt das Beispiel von Katja. Im Coaching erzählte sie mir von ihrer Odyssee, ihr Recht auf körperliche Selbstbestimmung durchzusetzen. Blöde Sprüche, medizinische Fehlentscheidungen, Wartezeiten und Hürden – und das alles zusätzlich zu der emotionalen Belastung, die ein Schwangerschaftsabbruch bedeutet. Nachzuhören im Podcast „Die Alltagesfeministinnen“.
Während eine Abtreibung juristisch gesehen weiterhin ein Verbrechen bleibt, wurden andere Tatbestände überhaupt erst zum Verbrechen erklärt. Vergewaltigung in der Ehe galt in Deutschland lange Zeit nicht als Straftat, egal, was ein Ehemann getan hatte. Es war die private Entscheidung eines Ehemanns, ob er seine Frau vergewaltigt. Erst 1997 beschloss der Bundestag Vergewaltigung in der Ehe als Verbrechen zu bewerten. Dabei kann Gewalt in auch psychischer Natur sein.
Wie du die Warnsignale einer toxischen Beziehungen erkennst, hörst du hier am Beispiel von Christina.
Die dritte Feminismus-Welle: Die Lean-In-Bewegung
Sheryl Sandberg, als Facebook-Finanzvorständin einst fünftmächtigste Frau der Welt, brachte 2013 ihr Buch “Lean in – Frauen und der Wille zu führen” raus. Halb Autobiographie, halb feministisches Manifest – eine Art Karrierebibel für Frauen.
Der Begriff “Lean in” mein hier so etwas wie “häng Dich rein, streng Dich an”. Frau Facebooks Buch sollte Frauen empowern, ehrgeizig zu sein, nach Führungspositionen zu streben, sich im Job durchzusetzen und auch mal aggressiver nach einer Beförderung zu verlangen. Kinder dürften keine Ausrede sein, auf Karriere zu verzichten: Familie und Beruf, das sei machbar, so der Tenor.
Der Feminismus verlagerte sich von der Straße in die Chefetagen. War das der richtige Weg hin zu mehr Chefinnenetagen?
Das Buch wurde zum Bestseller, aber es gab auch Kritik an Sandbergs Konzept. Von “falschem Feminismus” war die Rede und von Feminismus für die Elite, für die privilegierte weiße Frau. Sandburg wurde vorgeworfen, dass sie z.B. alleinerziehende Frauen ausklammere.
Das wird der Tech-Managerin 2015 bewusst, als ihr Ehemann überraschend stirbt und sie fortan selbst soloerziehend ist. In einem Blogeintrag gibt sie zu, die Probleme alleinstehender Mütter unterschätzt zu haben. Als berufstätige Frau, deren Mann sich immer stark engagiert habe, hätte sie nicht gewusst, wie schwierig es für Frauen sei, erfolgreich im Beruf zu sein, wenn man zu Hause von Schwierigkeiten erdrückt werde.
Das zweite Problem des “Lean-In” Konzepts: Dieses “du schaffst es, wenn du dich nur genug reinhängst und dich selbst genug anstrengst”, dieser Selbstoptimierungsgedanke individualisiert die gesellschaftlichen Probleme wieder nur. Druck, Sorgen und Überforderung lasten auf den Schultern einzelner Personen, sind aber meist Folge vorherrschender Gesellschafts- und Machtstrukturen.
Die vierte Welle: Alltagsfeminismus als Antwort
Mein eigenes Konzept zur 4. Welle des Feminismus zu erheben, ist überheblich? Ich denke, es ist genau das, was die Welt braucht!
Statt für Selbstoptimierung plädiere ich für Selbstsensibilisierung. Das bedeutet, dass Du Dir darüber bewusst wirst, dass Deine individuellen, feministischen Herausforderungen in Beziehung, Familie oder Job auch gesellschaftliche Herausforderungen sind. Dass sie eben ihren Ursprung in den vorherrschenden politischen Machtstrukturen haben können, dass Regelungen und Gesetze sowie scheinbarer gesellschaftlicher Konsens sehr wohl einen Einfluss auf Dein Privatleben haben. Da sind sie wieder, diese Wechselwirkungen zwischen privat und politisch! Deswegen solltest Du kein Problem allein auf deinen Schultern lasten lassen.
An den Beispielen aus dem Podcast siehst du: Alltagsfeminismus ist Feminismus im Kleinen, im Einzelnen, im Privaten. Manchmal ist es vielleicht nur ein diffuses Gefühl von „irgendwas läuft hier schief”. Das zu erkennen hat aber großen Einfluss. Manchmal sind es scheinbare kleine, beiläufige Ungerechtigkeiten, die dir widerfahren. Sei es, wenn du als Frau in deinem Unternehmen nicht ernst genommen wirst, wenn man dich nicht aussprechen lässt oder dir sagt, du sollst nicht so zickig sein.
Es geht darum, dass dir im Alltag immer wieder bewusst wird, worin Deine ganz individuellen Herausforderungen begründet sein können und Du erkennst, dass Du damit nicht allein bist. Nur so kannst Du für Dich einstehen und eine gerechtere Verteilung der Last einfordern!
Hast du zum Beispiel schon mal überlegt, wie gerecht die Fürsorgearbeit in deiner Partner:innenschaft oder Familie verteilt ist? Was erledigst du alles mal eben so nebenbei, quasi unsichtbar? Check das doch gleich mal in der „CareRechner App“! Als Nutzerin kannst du ganz einfach messen und überprüfen, wie viel unbezahlte Fürsorge-Aufgaben Du leistest. Das schafft Sichtbarkeit und unterstützt Dich dabei, Dir über manche Aufgaben überhaupt erst bewusst zu werden.
Denn: Eine gleichberechtigte, gesellschaftliche Teilhabe aller Geschlechter ist nur möglich, wenn die unbezahlte Arbeit mitgedacht wird. Also alles, was unter Fürsorge fällt – auch Care-Arbeit und Mental Load genannt. Der Einsatz in Familie, Haushalt und Ehrenamt sollte von allen wahrgenommen und wertgeschätzt werden. Nicht nur von Frauen und Müttern.
Und dann wird es wieder politisch: Für die Akzeptanz von Care-Arbeit als das, was sie ist, nämlich ARBEIT – brauchen wir politische Veränderungen. Wir brauchen z.B. einen Übergang vom Ehegattensplitting zu einer Individualbesteuerung und Maßnahmen gegen die ungleiche Bezahlung von Frauen und Männern.
Als Anthropologin und Genderexpertin sehe ich das Private im Politischen und das Politische im Privaten. Ich kenne die Macht, die die Gesellschaft auf unsere alltäglichen Entscheidungen ausübt. Von der Handlungsfähigkeit jeder und jedes Einzelnen bin ich als Gestalttherapeutin und Heilpraktikerin für Psychotherapie wiederum überzeugt. Hier setzt Alltagsfeminismus an. Es geht ums Innehalten, Beobachten der eigenen Automatismen und darum, wirklich einen feministischen Alltag zu leben – auch, wenn niemand schaut. Und wie geht das? Ganz einfach! Mit einem Alltagsfeminismus-Coaching in meiner Praxis.
Deine Johanna
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Johanna Fröhlich Zapata
Johanna Fröhlich Zapata ist Mutter, Therapeutin, Medizinanthropologin und Co-Gründerin von Deutschlands erster Ausbildungsinstitution für Feministisches Coaching. Ihr Ziel ist es, Alltagsfeminismus als Prozess gesellschaftlichen Wandels mitzugestalten und Frauen und Männern gleichermaßen dabei zu unterstützen, einen lebenspraktischen Feminismus in ihrem Alltag zu etablieren.
Mit dem rbbKultur-Podcast «Die Alltagsfeministinnen» erreicht ihre Arbeit ein breites Publikum. In ihrer Privatpraxis bietet sie ein stark gebuchtes Coachingprogramm zum Thema an. Johanna Fröhlich Zapata lebt mit ihrer erweiterten Familie in großer Fürsorge-Gemeinschaft in Berlin.
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