Patriarchat und Frauenquote
Seit heute ahne ich, wie anstrengend es sein muss, wenn ein Mensch mit Führungsverantwortung sich durch die Frauenquote bedroht fühlt. Dieser Mensch – Überraschung: männlich, weiß, nicht mehr ganz jung – und eben mein Chef, rät mir davon ab, mich in einem Gespräch zu sehr auf die Expertise seiner Kollegin zu verlassen.
Diese ist wohlgemerkt eine Professorin. Und er hat sie auch eingeladen, in einem Forschungsprojekt mit uns zu kooperieren. Allerdings hat er das, wie mir jetzt klar wird, nicht ganz freiwillig getan. Er lässt durchblicken, dass er noch ein paar weibliche Namen in seinem Umfeld brauchte, um nicht zu patriarchal zu wirken.
Aber der Abschied vom Patriarchat fällt ihm sichtlich schwer. Er sagt, er wolle mir helfen, die Situation richtig einzuschätzen. Zu diesem Zweck erzählt er mir, die besagte Professorin habe lange gezögert, sich überhaupt auf eine Zusammenarbeit einzulassen. Sie habe Sorge gehabt, ob ihre Kenntnisse zum Projekt etwas beitragen können.
Unter seinesgleichen
Das Fachgebiet der Professorin kann ich natürlich im Internet genau nachlesen und mir selbst überlegen, ob ich sie anspreche oder nicht. Und ob ich dann auf sie höre, oder nicht.
Ich könnte auch argumentieren, dass es der Forschung doch gut tue, ein Problem einmal aus einer anderen (Fach)Richtung zu betrachten. Und das kann mein Chef ja auch überall nachlesen. Aber mir scheint, dass es hier gar nicht um die Forschung, sondern eigentlich um Wohlbefinden geht. Und zwar um seins. Und da ist eben Unterschiedlichkeit genau das Problem. Denn wie die meisten Menschen fühlt mein Chef sich wohl unter seinesgleichen.
Sisterhood auf dem Campus
Aber jetzt hat die moderne Welt meinem Chef einige Zwänge auferlegt. Zum Beispiel soll er mit Frauen zusammenarbeiten. Er soll sogar welche einstellen. Also tut er das. Aber die ganze Zeit plagt ihn offenbar die Sorge, dass die Qualität seiner Forschung darunter leidet. Und wenn ich ehrlich bin, kommt es mir tatsächlich gar nicht so sehr auf die spezielle Expertise der Professorin an, sondern darauf, dass sie eine Frau ist.
Ich träume ein bisschen und stelle mir vor, wie ich ihr erstmal sehr viele Fragen stellen könnte. Ich möchte sie fragen:
- wie sie sich als jüngere Forscherin gefühlt und
- wen sie sich zum Vorbild genommen hat, und
- ob sie es bereut, ihren Weg so gegangen zu sein.
Ich stelle mir vor, wie ich ihr dann von meinen Ideen erzählen und mit ihr diskutieren würde. Ich stelle mir vor, wie sie mir zuhören und mich ermutigen würde. Kurz, ich habe die Hoffnung, dass ich von ihr etwas lernen und mir von ihr etwas abgucken könnte.
Sie ist doch Professorin geworden, in diesem patriarchalen System! Sie weiß offenbar außerdem um die Begrenztheit ihres eigenen Wissens. Was muss sie für ein sympathischer Mensch sein! Und ganz nebenbei würde dann dieses Treffen meine Arbeit nicht nur angenehmer, sondern auch viel besser machen. Denn ich werde ja gestärkt und inspiriert an meinen eigenen Schreibtisch zurückkehren.
Auch das Patriarchat ist verwundbar
Bin ich naiv? Oder bin ich vielleicht meinem Chef doch ähnlicher als ich dachte? Offenbar will ich mich ja auch am liebsten mit meinesgleichen abgeben. Was sagt es über mich, dass ich so viel lieber mit einer Professorin über meine Forschung sprechen würde als mit einem Professor? Muss ich daran etwas ändern?
Zugegeben, die Gefahr ist nicht so groß, dass ich mich ab sofort nur noch mit nicht-männlichen Experten umgebe. So viele gibt es davon ja nun auch wieder nicht. Was aber, wenn ich meinem Chef sage, dass ich ihn verstehe? Wenn ich sage, dass auch ich mich gerne mit Menschen treffe, die mir ähnlich sind? Dass mir das Sicherheit gibt?
Vermutlich würde es ihn verwirren. Denn bisher war es ja sein Privileg, das Maß der Dinge zu sein und in seiner Arbeit überwiegend mit seinesgleichen zu tun zu haben. Wahrscheinlich würde er lieber auf mein Mitgefühl verzichten. Aber ich biete es ihm trotzdem an.
Eure Paula
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Paula Schreiber
Paula Schreiber ist promovierte Geisteswissenschaftlerin und hat eine befristete Stelle in einem Drittmittelprojekt an einer großen Universität in Deutschland. Ihr Mann ist ebenfalls Wissenschaftler. Zusammen haben sie zwei Kinder, die sie gleichberechtigt erziehen. Wenn dann noch Kräfte übrigbleiben, kümmern sie sich zu gleichen Teilen um den gemeinsamen Haushalt und den Rest des Lebens.
Feedback und Austausch in Bezug auf Paulas Kolumne ist persönlich an die Autorin möglich an: paulaschreiberin@gmail.com