Warum finanzielle Selbstbestimmung für Frauen mit Familie so wichtig ist
Ein Gastbeitrag von Birgit Happel
Die neue Geburtenstatistik lässt tief blicken. Im letzten Jahr ist die Geburtenziffer auf 1,46 Kinder je Frau gesunken (Statistisches Bundesamt 21.07.2023).
Seit der Corona-Pandemie wissen wir unmissverständlich: Die Politik ordnet die Belange von Familien der Wirtschaft unter. Frauen waren weltweit am härtesten getroffen. Die Pandemie verfestigte strukturelle Diskriminierung. UN Generalsekretär António Guterres zog 2021 die bittere Bilanz: „Die Corona-Krise trägt das Gesicht einer Frau“. Noch im Januar 2022 hatte laut Berechnungen des WSI für die Hans-Böckler-Stiftung jede fünfte Frau ihre Beschäftigung reduziert. Die aktuelle Krise der Kitabetreuung ist alarmierend und gefährdet die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erneut.
Auf Kosten der Mütter — Die Krise der Care-Arbeit wird auf ihren Schultern ausgetragen
Denn die Fakten zur Verteilung der Care-Arbeit sind gerade ermutigend. Zwar übernehmen Männer in Deutschland vermehrt Sorgearbeit. Dennoch bleiben es die Frauen, die die Krise der Care-Arbeit stemmen. Frauen, die sich im Gesundheitswesen zerreiben und ihre eigene Gesundheit gefährden. Frauen, die prekär beschäftigt sind, um ihre Existenz ringen und in Zeiten von hoher Inflation erst recht nicht auf den „grünen Zweig“ kommen. Frauen, die häuslicher und finanzieller Gewalt ausgesetzt sind.
Die Krisen in der Kinderbetreuung und im Pflegesektor wirken unmittelbar in die Familien zurück und führen zu einer großen Belastungssituation. In unserem Podcast zum Equal Care Day mit der Oberstudienrätin und Kreisrätin Maili Wagner und Franziska Böhler, aka @thefabulousfranzi haben wir über die Krise der bezahlten und unbezahlten Care-Arbeit gesprochen. Keine leichte Kost, dazu sind die Probleme zu schwerwiegend. Ihre Wurzeln liegen in der unzureichenden Anerkennung des Werts von Sorgearbeit. Sie ist zurückzuführen auf die im Zuge der Industrialisierung zementierte Trennung von häuslicher und sogenannter produktiver Sphäre.
Auf Kosten der Mütter — So ziemlich alle Gaps
@gleichstellungsrecht hat noch den Renten-Gap, Mental Load und die gläserne Decke hinzugefügt und Eltern haben von Diskriminierung nach der Elternzeit berichtet. Dazu kommen: child penalty, Vermögenslücke, Arbeitsmarkt Gap, Lebenserwerbseinkommenslücke, funding gap, financial service gender gap, inheritance gap, Müttermythos, Thomas-Kreislauf. ❌️ Weiterhin wurden ergänzt: Fehlende Wertschätzung und Entlohnung der Familien- und Pflegearbeit, Unterhaltsprellerei, strukturelle Gewalt an Familiengerichten, Krise des Kitasystems. Wer genau hinschaut, sieht, was in der Gesellschaft alles schief läuft. Vor allem Familien sind die Leidtragenden. Nathalie Klüver hat ein sehr gutes Buch dazu geschrieben: Deutschland, ein kinderfeindliches Land? Erschienen im Kösel-Verlag.
Die Frage, „was ist uns welche Arbeit wert“, bleibt hochaktuell. Wir sollten sie immer wieder in den öffentlichen Diskurs geben. „Dass betriebswirtschaftliche Prinzipien nicht unmittelbar auf Versorgungsbeziehungen angewendet werden können, zeigt sich im Gesundheitswesen sehr deutlich. Die Kosten der privaten Care-Arbeit wiederum werden zulasten der ökonomischen Situation von Frauen und Kindern externalisiert. Diese Kosten müssen wir beziffern, die erwerbsarbeitszentrierte Familienpolitik hinterfragen, eine Care-Abgabe der Unternehmen diskutieren und strukturelle Ausbeutung von Müttern und Familien als solche benennen.
Fürsorge, sich kümmern, Sorgen, Care – die unbezahlte Arbeit als Grundlage menschlichen Miteinanders und allen Wirtschaftens verdient Wertschätzung und finanzielle Anerkennung.“ (Happel 2023, S. 210).
Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen sind das eine. Ich denke, niemand wird bestreiten, dass eine gut ausgebaute und verlässliche Infrastruktur für Kinderbetreuung für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf unerlässlich ist. Aber auch das Steuer- und Sozialversicherungsrecht bergen in hohem Maße strukturelle Fehlanreize und wirken sich negativ auf die Rollenverteilung in Familien und die Erwerbsarbeitsbeteiligung von Frauen aus.
Natürlich sind wir auch Akteurinnen auf der „Handlungsebene“ und versuchen, unser Familien- und Berufsleben so miteinander in Einklang zu bringen, dass es unseren Vorstellungen des guten Lebens entspricht. Dennoch sind die Fallen und Einbahnstraßen vielen Frauen nicht bewusst. Seien es überholte Rollenbilder, die Steuerklassenwahl, die Diskriminierung von Fürsorgeleistenden auf dem Arbeitsmarkt.
Deswegen habe ich „Auf Kosten der Mütter“ geschrieben. Um die Wechselwirkungen der Gender Gaps und die Opportunitätskosten von Mutterschaft offenzulegen. Um Frauen vor Fehlanreizen zu schützen und sie zu wappnen, ihre finanzielle Selbstbestimmung auch mit der Übernahme von Fürsorgeverantwortung so gut es geht aufrechtzuerhalten.
Die Lösung: Positives Geldbewusstsein & solide Finanzbildung
Investieren lernen
Denn wir haben das Recht auf eine Carebiografie. Wir wollen aber nicht um unsere wirtschaftliche Existenz bangen müssen. Es ist wichtig, das Thema Geld in unserer Partnerschaft frühzeitig auf den Tisch zu bringen, auf eine gerechte Rollenverteilung zu achten, unsere Geld- und Erwerbsbiografien im Blick zu behalten und auch mit kleinen Beträgen investieren zu lernen.
Dazu brauchen wir keine rosa Finanzen, sondern ein positives Geldbewusstsein und eine solide finanzielle Bildung. Auch darüber schreibe ich in meinem Buch – damit Du weißt, wie gesunde Finanzen strukturiert sind und was Du heute tun kannst, um finanziell selbstbestimmt zu leben. Die Börse ist kein Buch mit sieben Siegeln und es gibt kein Geheimwissen rund um die Geldanlage.
Fünf häufige Fallen in Bezug auf die finanzielle Eigenverantwortung habe ich in einem Blogartikel bei „Stadt-Land-Mama“ beschrieben. Und konkrete Tipps zur Vermögensplanung findest Du natürlich auch auf meinem Blog „Frauen & Finanzen“.
Moderner Feminismus
Der moderne Feminismus birgt eine Gefahr: Passend zur Stimme des neoliberalen Kapitalismus, die uns unaufhaltsam zur Selbstoptimierung antreibt, hören wir immer wieder „Nimm deine wirtschaftliche Unabhängigkeit in die Hand“, „Du kannst alles schaffen, was du willst“. Doch so einfach ist es nicht, vor allem, wenn Lebenswege nicht geradlinig verlaufen. Schon gar nicht, wenn verschiedene diskriminierende Faktoren zusammenspielen, in der Sozialwissenschaft „Intersektionalität“ genannt.
Zum Beispiel, wenn eine Mutter eine Behinderung hat, die „falsche“ soziale Herkunft trägt oder eine nichtbinäre Geschlechtsidentität. Sobald Lebens- und Familienformen von „Standardbiografien“ abweichen, etwa wenn ein chronisch krankes Kind zu betreuen ist, gibt es keine Blaupause und keine passgenauen Unterstützungsangebote für Familien.
Ich bin froh, dass ich das alles nicht vorher wusste. Aber den Kopf in den Sand zu stecken, ist auch keine Lösung. Doch genau das macht die Politik, wenn sie die Wirtschaft stets an erste Stelle setzt. Wenn es keine Kinder mehr gibt, sieht die Wirtschaft auch alt aus. Um die Geschlechterungleichheit zu verstehen, hilft es, den Blick aufs große Ganze und die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zu richten.
Die Verantwortung, die Mütter und pflegende Angehörige für ihre Lieben übernehmen, kommt der ganzen Gesellschaft zugute. Deswegen muss die unbezahlte Arbeit aufgewertet werden.
In Anlehnung an das Buch „Auf Kosten der Mütter“ und den gleichnamigen Blogartikel auf der Finanzbildungsplattform Geldbiografien.
Birgit
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Birgit Happel
Dr. Birgit Happel ist Soziologin und Bankkauffrau. Sie setzt sich als Referentin, Vortragsrednerin und Coach für die Professionalisierung der finanziellen Bildung und für finanzielle Gleichstellung ein. Als UNESCO BNE-Akteurin und Mitglied von UN Women Deutschland engagiert sie sich besonders für Gleichstellungsthemen und die wirtschaftliche Unabhängigkeit von Frauen. Die ökonomische Situation von Frauen bildete den Ausgangspunkt ihrer Studie „Geld und Lebensgeschichte“ zum Umgang mit Geld aus biografieanalytischer Sicht.
Ihr neues Buch „Auf Kosten der Mütter“ legt die Opportunitätskosten von Mutterschaft offen und ermutigt zu finanzieller Selbstbestimmung.