Ein Gastartikel von Sandra Tschöpe
Der bisherige Blick auf die Wechseljahre ist misogyn und betrachtet diese als eine Zeit negativer Veränderung, über die man am besten auch gar nicht spricht. Mittlerweile gibt es aber eine wachsende Bewegung von Frauen, die die Wechseljahre als Chance zur Selbstbestimmung und persönlichem Wachstum betrachten und einen offenen Umgang damit praktizieren.
In den Vordergrund tritt somit das Bewusstsein, dass individuelle Herausforderungen in Beziehungen, Familie und Beruf eben auch gesellschaftliche Herausforderungen sind und dass scheinbarer gesellschaftlicher Konsens sehr wohl Einfluss auf das Erleben der Wechseljahre hat.
Ausgangssituation: Die Wechseljahre als gesellschaftliches Stigma – zwischen Fuckability, Anti Aging und Bikinimedizin
In der Gesellschaft wurden die Wechseljahre lange Zeit tabuisiert und mit negativen Stereotypen wie dem „Ende der Jugend und des jugendlichen Aussehens“ oder dem „Verlust der sexuellen Attraktivität und Fruchtbarkeit“ verbunden. In diesem Zusammenhang fällt auch der Begriff „Fuckability“. Gemeint ist die körperliche Attraktivität, Sexyness, sexuelle Anziehung etc., um auch jenseits der 40 noch körperlich begehrenswert zu sein, um Sex haben zu können/dürfen.
Auf der anderen Seite gibt es Anti Aging Produkte, die den Kampf gegen Falten und Straffheitsverlust aufnehmen und ebenso einen defizitären Blick auf das Älterwerden und den weiblichen Körper werfen.
Und dann ist da noch die sogenannte „Bikini-Medizin“, so wird der Umgang der medizinischen Versorgung und Forschung mit dem weiblichen Körper bezeichnet. Die „Bikini-Medizin“ geht von der fehlerhaften Annahme aus, dass die Gesundheit der Frauen sich nur in den körperlichen Bereichen von derjenigen der Männer unterscheidet, die von einem Bikini bedeckt werden. Mit der fatalen Folge, dass Erkrankungen bei Frauen seltener diagnostiziert werden.
Denn die Medizin hat jahrhundertelang ausschließlich am Männerkörper geforscht und die Ergebnisse einfach auf das weibliche Geschlecht übertragen. Die Wechseljahre und damit verbundene Beschwerden wurden dabei scheinbar lange Zeit übersehen und Frauen erhielten folglich nicht genug Aufklärung und erforderliche Behandlungen sowie Hilfestellungen. Frauen wurde suggeriert, dass sie sich mal nicht so anstellen sollen, die Wechseljahre seien eben was ganz Natürliches. „Da musst Du durch.“
Mentale Gesundheit und Patriarchat
Die patriarchalen Strukturen haben Auswirkungen auf die psychische Verfassung und die Versorgung von psychischen Erkrankungen. Geschlechterrollen, Sexismus und Machtunterschiede in der Medizin und Forschung sowie fehlende Diagnosen sorgen dafür, dass die psychische Gesundheit von Frauen in den Wechseljahren bisher zu wenig Beachtung fand.
Es ist wichtig, auf die patriarchalen Gegebenheiten hinzuweisen, denn diese prägen die mentale Gesundheit. Damit es zu einem geschlechtergerechten Gesundheitssystem kommen kann, müssen die Ungerechtigkeiten, die vorhanden sind, aufgedeckt und hinterfragt werden.
Das Auftreten von psychischen Beschwerden innerhalb der Wechseljahre ist bisher nicht im Fokus der Behandler:innen. Die Verordnungszahlen von Antidepressiva in der Altersklasse der Frauen in den Wechseljahren sprechen hier für sich. Selten wird, so meine Erfahrung, bei depressiven Symptomen oder bei Ängsten und Schlafstörungen an die Wechseljahre gedacht. In den vielen Jahren meiner Tätigkeit habe ich keine Patientin gesehen, die aufgrund ihrer Beschwerden in diese Richtung untersucht wurde.
Paradigmenwechsel: Die Bedeutung der Selbstbestimmung und der Gendermedizin
Der feministische Ansatz zum Altern in den Wechseljahren basiert auf der Idee der Selbstbestimmung. Frauen sollen die Kontrolle über ihren eigenen Körper und ihre eigene Gesundheit haben. Dies bedeutet, dass sie informierte Entscheidungen über ihre Gesundheit treffen und ihre Bedürfnisse während der Wechseljahre wahrnehmen und entsprechend handeln können. Dies gelingt vor dem Hintergrund valider medizinischer Daten, Aufklärung und Sichtbarkeit. Denn es sind nicht die Ärzt:innen, die keine Zeit für Frauen in den Wechseljahren haben. Es ist das System, was dazu beiträgt.
Denn das Private ist politisch und das Politische ist privat.
Die Beratung für die Wechseljahre muss besser bezahlt werden.16,98 € ist die Pauschale, die eine Frauenärztin pro Quartal für eine Kassenpatientin bekommt, egal wie oft die Patientin im Quartal kommt.
Damit Frauen kurzfristig geholfen wird und damit sie mittel- und langfristig nicht von Osteoporose, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs und Psychischen Erkrankungen betroffen sind, ist eine gute Versorgung während der Wechseljahre wichtig, denn das ist notwendige Prävention.
Ob es um Hormontherapie, Psychopharmaka, alternative Medizin, Lebensstiländerungen oder das eigene Aussehen geht, Frauen sollten immer die Möglichkeit haben, die Optionen zu kennen und diejenigen zu wählen, die für sie am besten geeignet sind.
Feministisch Altern und persönliche Transformation
Frauen setzen sich während der Wechseljahre auch mit Fragen der Identität, des Zwecks und der eigenen Lebensziele auseinander. Verabschiedung von einem langen Kinderwunsch oder der Fruchtbarkeit allgemein, Auszug der Kinder oder viel Care Arbeit durch kleine Kinder, pflegebedürftige Angehörige, hohe Anforderungen im Beruf oder eine konflikthafte Partnerschaft können Belastungen darstellen, die einer Neuausrichtung bedürfen.
Hierzu gehört auch, sich weniger darum zu kümmern, den Erwartungen anderer/der Gesellschaft gerecht zu werden.
Eine weitere wichtige Komponente des feministischen Alterns in den Wechseljahren kann die Gemeinschaft und gegenseitige Unterstützung darstellen. Frauen sollten die Möglichkeit haben, sich mit anderen Frauen auszutauschen, ihre Erfahrungen zu teilen und voneinander zu lernen. Dies kann in Form von Gruppen, Online-Foren oder informellen Treffen geschehen.
Durch den Austausch von Geschichten und Ratschlägen können Frauen die Isolation überwinden, die oft mit den Wechseljahren einhergeht, und sich gegenseitig ermutigen, diese Zeit als Chance zur persönlichen Transformation zu sehen. Dies kann zu einer stärkeren Verbindung mit sich selbst und zu einer größeren Klarheit über die eigenen Bedürfnisse und Wünsche führen.
Viele Klientinnen berichten in meiner Praxis, dass es für sie hilfreich sei, eigene Bedürfnisse wahrzunehmen und dafür zu sorgen, dass diese erfüllt werden. Dies nach langer Zeit wieder – oder manchmal auch das erste Mal im Leben. Erfüllte Bedürfnisse sind ein präventiver Faktor für psychische Stabilität und gute Gefühle.
Bitte mehr davon!
Als Psychologische Psychotherapeutin und Wechseljahresberaterin bin ich davon überzeugt, dass jede Frau in den Wechseljahren von einem feministischen Ansatz profitieren kann. Insbesondere, wenn es darum geht, die psychische Gesundheit und das Wohlbefinden in die eigene Hand zu nehmen. Es geht darum, eigene Muster zu erkennen, dysfunktionale Strategien zu identifizieren und einen feministischen Alltag zu leben, der Sichtbarkeit, Selbstzuwendung und Freude möglich macht.
Deine
Sandra
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Sandra Tschöpe
Foto: Meike Kuether Fotografie
Sandra Tschöpe ist Diplom-Psychologin und Verhaltenstherapeutin in eigener Privatpraxis in Hamburg sowie in einer Onlinepraxis für Frauen 40+.
Sie ist Entwicklerin von MyMenoMind ®, einem Programm zur Reduktion von Wechseljahresbeschwerden und zur Verbesserung Mentaler Gesundheit von Frauen in der Lebensmitte. Ihr Ziel ist es, Frauen in der Lebensmitte zu unterstützen und evidenzbasiert zu beraten, um die eigene psychische Gesundheit als auch das individuelle Wohlbefinden in die Hand zu nehmen und nachhaltig zu verbessern. Sie lebt mit Ehemann und zwei Kindern in Hamburg.