Ein Gastbeitrag von Carlotta Mettin und Marie Schulz
Mädchensein ohne Mutterdruck
Heute ist Weltmädchentag. Dieser Aktionstag steht für mehr als nur die Förderung von Mädchenrechten und Gleichberechtigung. Er ist auch ein Tag, an dem wir darüber nachdenken sollten, welche Rollenbilder und Erwartungen unsere Gesellschaft an Mädchen* und junge Frauen* setzt.
Wie oft werden weiblich gelesene Kinder schon im frühen Alter mit patriarchalen Zuschreibungen konfrontiert und in ein Frauenbild gepresst, das fern ab von Selbstbestimmung liegt: Puppen, Rollenspiele und Sätze wie „Wenn du später mal Kinder hast”….? Die meisten Mädchen wachsen mit der Vorstellung auf „reproduktiv zu sein“, also ein Kind/Kinder in die Welt zu setzen.
Dazu gehört auch, dass Mädchen viel eher als Jungs beigebracht wird, gute Beziehungsgestalterinnen zu sein. Also für Menschen zu sorgen, ihnen zuzuhören und rücksichtsvoll zu sein. Alles vermeintlich weibliche Attribute, die Mädchen schon im Kleinkindalter vermitteln, sie seien maßgeblich für Care verantwortlich. Doch was passiert, wenn weiblich gelesene Kinder im Laufe ihres Lebens nicht in die sogenannte Fürsorge-Falle tappen wollen oder sich sogar fragen „Ist Mutterschaft überhaupt ein Modell für mich?“ oder „Was, wenn ich mich anders entscheide und kein Kind bekommen will?“ Wie können wir Mädchen also aufwachsen lassen, ohne sie in die Mutterschaft zu drängen?
Am besten indem wir ihnen eine andere Welt vorleben und uns die Frage stellen:
Ist Mutterschaft wirklich ein notwendiger Bestandteil einer weiblichen Identität? Oder ist sie nicht viel eher ein möglicher Lebensweg?
Seit Jahrhunderten wird Frauen die Rolle der Mutter automatisch zugeschrieben, oft als eine Art „natürliche Bestimmung“. Wenn Frauen kein Kind/keine Kinder bekommen können oder sie sich bewusst gegen sie entscheiden, löst das nicht selten Irritation aus. Vor allem das biologische Selbstverständnis von Frausein = Mutterschaft bleibt trotz wichtiger Emanzipationsprozesse, Aufklärung und neuer Forschung in unseren Köpfen fest verankert. Wissenschaftlich ist inzwischen belegt, dass es keinen biologisch oder neurologisch angelegten Mutterinstinkt gibt[1] und dass eine natürliche und vertrauensvolle Bindung zu einem Kind nicht nur durch Schwangerschaft und Geburt aufgebaut werden kann. Wir sollten also das Konstrukt Mutterschaft und Elternschaft grundsätzlich neu denken. Nur so können wir zu echter Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern und weniger Diskriminierung von Frauen kommen. Hierzu zählen auch Perspektiven, die immer noch viel zu wenig Aufmerksamkeit bekommen, wie queere Elternschaft, Kinder von Transmenschen, Co-Elternschaft, Patenschaft(en), Pflegekind(er) und vieles mehr. Wir brauchen mehr als nur ein Mutter- bzw. Familienbild, das Mann, Frau und zwei Kinder beinhaltet.
Mutterzwang besteht nach wie vor
Theoretisch könnten wir schon jetzt sagen: Mädchen und Frauen haben heute viele Möglichkeiten, ihr Leben zu gestalten. Die Realität zeigt aber leider, dass Frauen bei einer Entscheidung gegen ein Kind immer noch mit Vorurteilen und Unverständnis zu kämpfen haben, ihnen das Frausein abgesprochen wird und sie sich sogar rechtfertigen müssen. Wer hat nicht schon mal den Spruch gehört „Ja warte mal ab, das wird noch kommen“ oder die Frage „Wann kommt das zweite?“. Als ob es eine unausweichliche Tatsache sei, dass sich ein (weiterer) Kind(er)wunsch in jedem Fall einstellen werde.
Verschiedene Lebenskonzepte sind möglich und sollten gleichberechtigt nebeneinanderstehen. Wichtig ist, dass wir als Gesellschaft den Druck auf junge Mädchen und Frauen abbauen, sich in eine vorgefertigte Rolle zu fügen.
Muttersein: eine Entscheidung, kein Muss!
Mädchen und junge Frauen brauchen Freiheit, ihren eigenen Lebensweg zu gehen, ohne sich den Erwartungen anderer unterordnen zu müssen. Diese Freiheit beginnt in der Kindheit und es ist unsere Aufgabe als Erwachsene darauf zu achten, wie wir mit Mädchen über Themen wie Familie, Beruf und Lebensziele sprechen.
Um ein offenes und vielfältiges Bild von der Zukunft zu zeigen, können wir u.a. Folgendes tun:
- Alternativen sichtbar machen, indem über verschiedene Lebenskonzepte mit Mädchen und jungen Frauen gesprochen wird. Dadurch machen wir Vorbilder sichtbar und zeigen, dass es verschiedene Lebensmodelle und damit unterschiedliche Lebenswege gibt: mit Kind/ern, ohne Kind, mit Partner:innenschaft, Alleinerziehend, Co-Elternschaft, Patin sein, kindfrei leben etc.
- Rollenbilder hinterfragen und sich bewusst machen sowie auf die eigene Sprache achten, z.B. durch Vermeidung stereotyper Kommentare wie “Wenn du mal Mama bist.” oder “Das ist doch typisch für Mädchen.”
- Unterstützen, nicht drängen, indem wir Fragen stellen, wie sich Mädchen und junge Frauen ihr Leben vorstellen und zuhören, ohne das Gesagte in vorgefertigte Muster zu pressen. Und Mädchen und junge Frauen ermutigen, sich auszuprobieren und das auch in Bereichen, die traditionell Jungen oder Männern zugeordnet werden.
- Offen über reproduktive Rechte sprechen und Mädchen vermitteln, dass ihr Körper ihnen gehört und aufklären über Verhütung, Recht auf Information und Zugang zu medizinischen Dienstleistungen wie Abtreibung und Fruchtbarkeitsbehandlungen.
Den gesellschaftlichen Druck zur Reproduktion aufzulösen, bedeutet, in den Dialog zu treten und ehrlich verschiedene Aspekte zu thematisieren.
Die Entscheidung, Mutter zu werden, ist eine sehr persönliche und sollte von innerer Überzeugung getragen und nicht von äußeren Erwartungen geprägt sein. Jede Frau darf ihren eigenen Weg und Zugang zu dem Thema finden. Für einige Frauen ist die Vorstellung, Mutter zu sein, der absolute Traum, für andere nicht. Und das ist in Ordnung. Und es ist auch völlig ok, es erst einmal nicht ganz genau zu wissen. Aber diese Ambivalenz zum Thema Kind(er)wunsch oder Nicht-Kind(er)wunsch belastet viele Frauen.
Wichtig ist: Mutterschaft und Nicht-Mutterschaft stehen gleichberechtigt nebeneinander. Es sollte eine freie Entscheidung sein, eine Entscheidung von vielen Entscheidungen, die frau im Leben treffen darf, ob – und wenn ja – wie viele Kinder sie möchte.
Wider dem Mutterdruck: Die innere Uhr tickt nicht!
Die Gleichung „Frausein = Muttersein“, die auch schon kleinen Mädchen vermittelt wird, ist also falsch. Was lässt sich aber gegen die Unsicherheit bei der K-Frage tun? Als feministische Therapeut*innen lernen wir in unserer Beratungsarbeit immer wieder, was Frauen blockiert:
- Unsicherheit und innere Konflikte, wenn es um die Entscheidung geht, Mutter zu werden oder nicht.
- Sozialer Druck und Erwartungen: Der gesellschaftliche Druck, besonders von Familie und Freund*innen, kann Frauen das Gefühl geben, eine Entscheidung treffen zu müssen, die möglicherweise nicht ihren eigenen Wünschen entspricht.
- Karriere und Lebensplanung: Die Sorge, dass ein Kind/Kinder die berufliche Entwicklung oder andere Lebensziele beeinträchtigen könnten.
- Konflikte in der Partner:innenschaft: Unsicherheiten bezüglich der Unterstützung durch den/die Partner:in oder dessen / deren Wunsch nach einem Kind
- Angst vor Reue: Die Angst, die falsche Entscheidung zu treffen und dies später zu bereuen, sei es die Entscheidung für oder gegen ein Kind/Kinder.
Kennst du diese Unsicherheit und den inneren Konflikt auch, wenn es um die Entscheidung geht, Mutter zu werden oder nicht? Gegen diesen emotionalen Druck können verschiedene Strategien helfen, um das eigene Wohlbefinden zu stärken und sich von gesellschaftlichen Erwartungen zu befreien.
Was Du tun kannst: 3 wichtige Punkte gegen den Mutterdruck
1. Gesellschaftliche Erwartungen kritisch hinterfragen
Dekonstruktion von Rollenbildern: Beschäftige dich mit klassischen Geschlechterrollen und reflektiere sie. Das gibt dir ein stärkeres Bewusstsein dafür, woher diese (Selbst-)Erwartungen kommen und wie du dich davon lösen kannst.
2. Verbündete finden
Austausch mit Gleichgesinnten! Finde Menschen, denen es ähnlich geht. Und suche dir Unterstützung in Form von professioneller Hilfe. Wenn der Druck zu stark wird, kann eine Therapie oder Coaching helfen, um mehr Klarheit zu erlangen und selbstbestimmter entscheiden und handeln zu können.
3. Lebensvision entwickeln
Zukunft ohne Druck gestalten: Erstelle für dich selbst eine positive Zukunftsvision. Frage dich: Was macht mich glücklich? Wo sehe ich mich in 5, 10, 20 Jahren?
Webinar: Mutterglück oder kindfrei glücklich?
Wir setzen uns dafür ein, Frauen im Entscheidungsprozess zu unterstützen, ihnen Last abzunehmen und auferlegte Rollenzuschreibungen sowie starre Mütterbilder -die vielleicht schon als kleines Mädchen verinnerlicht wurden- zu hinterfragen. Deswegen haben wir zu dem Thema Mutterdruck verschiedene Angebote entwickelt: Wir bieten 1:1 & Paarbegleitung, sowie Workshops an. Egal welches Angebot, sie haben alle das gleiche Ziel:
- Wissen und Aufklärung. Denn Wissen ist Macht und eröffnet Handlungsmöglichkeiten und Entscheidungsspielraum.
- Solidarisierung durch Austausch (Kompliz*innenschaft).
- Empowerment durch Beratung und Begleitung
- Endlich Klarheit finden
Am 24.10. 2024 bieten wir ein kostenfreies Webinar an. Hier könnt ihr euch mit eurem Thema zeigen oder einfach nur ein bisschen lauschen. In dem Webinar geben wir einen Input zu den Themen Mutterschaft und kindfreies Leben im gesellschaftlichen Kontext und leiten anschließend eine Diskussion und offenen Austausch an zu der Gleichung: Frausein = Mutterschaft? Was denkt und fühlt ihr und was macht eigentlich glücklich?
Anmeldung unter hallo@femkultur.de
Wir freuen uns auf euch!
Deine Marie und Carlotta
* Wir verwenden den binären Begriff „Frau“ oder „Mädchen“ in diesem Artikel nicht als eine feste homogene oder ontologische Zuschreibung. Auch wenn uns das Dilemma und die Reproduktion patriarchaler Einteilung durch unsere Verwendung des Begriffs bewusst sind, gebrauchen wir den Begriff derzeit als kritische Kategorie. Wir sind uns der geschlechtlichen Vielfalt abseits der binären Geschlechter Frau, Mann bewusst und wollen diese in unserem Denken und soweit es geht auch in unserer Sprache mit einbeziehen.
[1] Siehe u.a. Matreszenz-Forschung: Hoekzema et al.: Becoming a mother entails anatomical changes in the ventral striatum of the human brain that facilitate its responsiveness to offspring cues: Psychoneuroendocrinology, 2020, Volume 112, S.7.
Carlotta ist Erziehungswissenschaftlerin (M.A), systemisch-feministische Therapeutin und Mutter. Sie lebt in Bremen und hat dort letztes Jahr ihre feministische Beratungspraxis FemKultur gegründet. Neben ihrer systemischen Beratungsausbildung hat sie sich als Feministische Coachin® durch die Feministische Coaching Akademie in Berlin zertifizieren lassen. Hier lernten sich Carlotta und Marie kennen und die beiden haben sich mit ihren Themen und Expertisen gleich sehr verbunden gefühlt.
Insta: @femkultur_beratung
Homepage: www.femkultur.de
Marie arbeitet in Berlin Prenzlauer Berg in einer feministischen Gemeinschaftspraxis mit der Spezialisierung auf das Thema „Leben ohne Kind“. Sie begleitet Frauen bei einem Perspektivwechsel von kinderlos zu kinderfrei und in ihrer Beratungsarbeit werden Themen wie Weiblichkeit und Nicht-Mutterschaft in den gesellschaftlichen Kontext und patriarchale Strukturen eingebettet. Marie ist Heilpraktikerin Psychotherapie und ebenfalls Feministische Coachin® zertifiziert durch die Feministische Coaching Akademie in Berlin.
Insta: marieschulz_leben_ohne_kind
Tanja Diallo meint
Danke, ein ganz wunderbar informativer Artikel, der Mädchen und Frauen helfen kann, sich ihr Rollenbild bewusst zu machen und eigene Entscheidungen zu treffen. Ich habe bis heute fest an den Mutterinstinkt geglaubt und werde das jetzt kritisch mit meinen Töchtern diskutieren. Danke!